Frank, Gustav – Lange, Barbara: Einführung in die Bildwissenschaft. Bilder in der visuellen Kultur. 159 S.mit 22 s/w Abb.Bibliogr. und Reg., 16.5x24 cm, ISBN 978-3-534-20937-8, €14.90.
(WBG, Darmstadt 2010)
 
Compte rendu par Antonie Wiedemann, Universität Genua
 
Nombre de mots : 1234 mots
Publié en ligne le 2011-11-21
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
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          Die Bildwissenschaft steht in Hochkonjunktur und strebt nach akademischer Konsolidierung. Jedenfalls legt dies der Blick auf die wachsende Zahl der Einführungen, Methodenreader und Sammelbände nahe, die den Leser in dieser transversalen und heterogenen Wissenschaft zu orientieren versuchen. Gustav Frank, Privatdozent der Germanistik und Medienwissenschaft an der Münchner LMU und Barbara Lange, Direktorin des Kunsthistorischen Instituts der Universität Tübingen, richten sich ihrerseits mit dem 2010 erschienenen Band „Einführung in die Bildwissenschaft. Bilder in der visuellen Kultur” an Studierende der neu entstandenen bildwissenschaftlichen Studiengänge sowie aller anderen potenziell involvierten Disziplinen, um diesen einen Überblick über die mannigfaltigen Richtungen, Themen und Fragestellungen der neu entstandenen Disziplin zu ermöglichen.

 

          Die Struktur dieser knappen, nur zirka 130 Seiten umfassenden, Orientierungshilfe für die Wissenschaft(en) vom Bild entspricht deren Bandbreite und Vielfältigkeit. In der Einleitung (I) wird knapp der Gegenstand der Bildwissenschaft umschrieben und diese als Tätigkeit in einem Feld definiert „auf dem mit interdisziplinären Verfahrensweisen die Objekte einer visuellen Kultur erst konstruiert, dann analysiert und interpretiert werden” (S. 11). In den folgenden Kapiteln wird, dem Untertitel des Bandes entsprechend, zunächst einmal versucht, Bilder innerhalb einer visuellen Kultur zu verorten (Kapitel II: Prinzipien der Systematik), bevor dann (III und IV), „Wege der Analyse” vorgeschlagen werden. Im fünften Kapitel „Bildwissen” wird schließlich auf das Verhältnis von Bildwissenschaft und Semiotik und auf die Räumlichkeit der Bilder eingegangen, bevor rekapitulierend nochmals auf die Rolle der Bildwissenschaft als akademisches Desiderat verwiesen wird. Zur Verdeutlichung des Gesagten wird abschließend (VI) eine Reihe von Einzelanalysen vorgestellt, die die Herangehensweise der hier vorgestellten Wissenschaft exemplifizieren.

 

          Die beiden Autoren legen in der Einleitung, in der sie unter anderem die Vielschichtigkeit eines Satellitenbildes erläutern und damit schon andeuten, dass die Bildwissenschaft visuelle Erzeugnisse jeder Art in den Blick nimmt, überzeugend dar, warum trotz aller Definitionsschwierigkeiten und der „Disziplinlosigkeit” (S. 11) dieser neuen Wissenschaft, die nicht unbedingt deckungsgleich mit den angloamerikanischen „Visual Studies” und der französischen „Médiologie” zu verstehen ist, diese geeignet ist, visuelle Phänomene in ihrer Komplexität analysieren. Deren Gegenstand sollen nicht nur Bilder im herkömmlichen Sinne sein, sondern „ein umfangreiches Konglomerat von Artefakten (z.B. Kunstwerken, Gebäuden, Tele- und Mikroskopen, Land-, See- und Sternenkarten), sozialen Praktiken (z.B. neurowissenschaftliche Versuchsanordnungen, Denkmälern, Museen, Rundfunk- und Fernsehsendungen) und kulturellen Redeformen (z.B. philosophischen, kunsthistorischen, kunstkritischen, medienwissenschaftlichen)“ (S. 10 f.). Ähnlich wie Klaus Sachs-Hombach (1) sehen Frank und Lange die Bildwissenschaft als Fragestellung, die sich über zahlreiche wissenschaftliche und auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Forschungsbereiche erstreckt, und deren Methoden und Theorien sie sich bedient.. Dementsprechend rückt die vorgeschlagene Definition die Prozesshaftigkeit und Interdisziplinarität dieser Herangehensweise in den Mittelpunkt. Als wichtigste Träger dieses Projekts verstehen die Autoren die Kunstgeschichte, die Medienwissenschaft, vor allem im Sinne der Klassiker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Moholy-Nagy, Benjamin), sowie die Neurowissenschaften, die Aufschluss über die Wahrnehmungsprozesse des menschlichen Gehirns liefen.

 

          Auf den darauf folgenden Seiten wird eine Systematik der Bilder vorgeschlagen. Dabei wird unter anderem die Bedeutung der in der Kunstwissenschaft erarbeiteten Methodik der Bildbeschreibung als Ausgangspunkt für die Analyse jeglicher visueller Objekte hervorgehoben. Ebenso wird der  Frage einer Sinnhaftigkeit der auf Gadamer zurückgehenden Unterscheidung in „starke” (also Kunstwerke) und „schwache” (also nur illustrierende) Bilder (S. 21) nachgegangen. Im Unterschied zur Kunstgeschichte lehnt die Bildwissenschaft jedoch jegliche Hierarchisierung von Bildern ab, da diese den kommunikativen Funktionen visueller Zeichen nicht gerecht wird, wie die Autoren mit dem Hinweis auf Piktogramme oder Siegel als Schutz vor Fälschungen argumentieren. Dieses zentrale Kennzeichen der im vorliegenden Band vorgestellten Disziplin, das vielleicht einen der wichtigsten Unterschiede zur Kunstwissenschaft darstellt, hätte wohl breitere Diskussion verdient gehabt.

 

          Im folgenden Abschnitt „Der sichtbare Raum” erläutern die Autoren überzeugend die Beziehung zwischen Wahrnehmungsprozessen und kulturellem Wissen. Dabei wird erläutert, dass „Raum“ ein soziales Konstrukt darstellt, das sich auf kulturelle Traditionen stützt, dabei aber keinesfalls unveränderlich ist, wie am Beispiel der Zentralperspektive, die sich im Laufe der Jahrhunderte in unserer Kultur als derart dominant herauskristallisiert habe, dass sie bis heute als natürlich gelte, verdeutlicht wird. Anschließend wird auf den Film eingegangen, der im Laufe des letzten Jahrhunderts die Diskussion über die Theoretisierung des Bildes um die Dimension der Bewegung bereicherte. Besondere Beachtung verdienen die überaus spannenden Betrachtungen bezüglich digitaler beziehungsweise errechneter und innerer Bilder, wie zum Beispiel von Sprachbildern oder Traumbildern, die im Verständnis von Lange und Frank nicht aus der Bildtheorie ausgeklammert werden können. Es geht ihnen dabei vor allem um die Vorstellungen und Visualisierungen dieser „unsichtbaren” Bilder und deren Bedeutung (S. 36).

 

          In den folgenden Kapiteln werden Wege der Bildanalyse vorgeschlagen, die unabhängig vom spezifischen Charakter des jeweiligen Zeichens anwendbar sein sollen. Bei der Untersuchung der symbolischen Praxis von optischer Wahrnehmung und Repräsentation wird von einem weit gefassten Symbolbegriff ausgegangen, der von der „kontextuellen Abhängigkeiten mentaler Prozesse“ (S. 42) ausgeht, um den engen Zeichenbegriff der Linguistik zu umgehen. Im Folgenden werden zum einen die Materialität des Bildes und die davon bestimmten Bedeutungszusammenhänge als Analysekategorien vorgestellt, zum anderen der Begriff der Interkonizität, verstanden als Austausch oder Bezugnahme zwischen Bildern, Bildgruppen oder Bildgattungen, eingeführt. Am einfachen Beispiel eines Verkehrszeichens mit Graffititag wird der Umgang mit derartigen Formen visueller Komplexität, im konkreten Fall einer Polysemie, anschaulich aufgezeigt. Im folgenden Kapitel, das der Analyse von Bildern als soziale Praxis gewidmet ist, verdeutlichen die beiden Autoren, wie diese nicht nur im Sinne von Panofsky als Symptome oder Produkte einer Gesellschaft verstanden werden können, sondern dass diese selbst entscheidenden Einfluss auf die Vergesellschaftung ausüben, was durch den Verweis auf die mit der Globalisierung einsetzende Standardisierung von Bildern über alle Kulturgrenzen hinweg (man denke an die Bilder vom elften September) rasch einsichtig wird. Anregend sind zudem die Hinweise auf die aus der Wissenschaftsgeschichte (2) stammende Idee des „Viskurses”, der die Verwendung von Visualisierungen abstrakter Modelle in einem kommunikativen Diskurs bezeichnet.

 

          Das fünfte Kapitel „Bildwissen” befasst sich ausführlicher mit dem Konflikt zwischen Bildwissenschaft und Semiotik, dessen Historisierung die Autoren anstreben (S. 68), um das Augenmerk auf eine fruchtbarere Untersuchung der Umstände der Verbalisierung von Seheindrücken zu richten. Mit einem Verweis auf die Entstehungsgeschichte der Physik als wissenschaftliche Disziplin im 19. Jahrhundert wird gegen den Vorwurf des Eklektizismus argumentiert: wie die Physik keinen neuen Gegenstand oder keine neue Methode erfunden habe, so ruhe auch die Bildwissenschaft auf den Schultern anderer Disziplinen ohne dadurch überflüssig zu werden. Denn diese habe, so die Autoren, drei entscheidende Alleinstellungsmerkmale, die sie von allen beteiligten Fächern unterscheidet: die Bildwissenschaft ist die einzige Wissenschaft, die sich mit allen Arten von Bildern und gleichzeitig ausschließlich mit diesen befasst, und sie im Hinblick auf eine visuelle Kultur zu bearbeitet (S. 75/76).

 

          Es folgen sieben exemplarische Untersuchungen von Bildern unterschiedlichster Art, auf die an dieser Stelle nicht gesondert eingegangen werden kann. Aus der Fülle der durchweg lesenswerten Beispiele sei auf die Analyse von Keplers Planetenmodell, das als Beispiel für Verbildlichungsstrategien komplexer wissenschaftlicher Ideen erläutert wird, und auf die anregende Fallstudie „VALIE EXPORT versus Madonna” verwiesen. In dieser wird aufgezeigt, wie in einer populären Ausdrucksform, hier dem Musikvideo „Bedtime Stories“, die eigene Medialität und Medialisierung reflektiert wird.

 

          Mit der Einführung in die „Bilder in der visuellen Kultur” von Frank und Lange liegt ein überzeugend argumentierter Band vor, der die Fragestellung der Bildwissenschaft vorstellt und deren Analysepotenzial anhand zahlreicher interessanter Beispiele aufzeigt. Beides gelingt den Autoren dabei in einem dichten Text, der seinen Abschluss in kommentierten Vorschlägen für eine „Basisbibliothek Bildwissenschaft” findet, die allerdings recht knapp ausfällt. Insgesamt folgt dieser Einführungsband einer stringenten inneren Logik, die verkürzten Kapitelüberschriften erleichtern allerdings nicht immer die Orientierung innerhalb des Textes, was aber teils durch das sehr ausführliche Personen- und Sachregister ausgeglichen wird. Aus didaktischer Sicht sei kritisch angemerkt, dass die zahlreichen Verweise auf Klassiker aus geisteswissenschaftlichen Disziplinen für einen Text, der als Einführung für Studierende konzipiert ist, etwas knapp erscheinen und möglicherweise eine breitere Erklärung mancher Aspekte angesichts der Zielgruppe angebracht gewesen wäre. Auch die für das interdisziplinäre Projekt der Wissenschaft vom Bild besonders relevante Einbeziehung der Natur- und Informationswissenschaften hätte vielleicht etwas breiteren Raum verdient.

 

(1) Klaus Sachs-Hombach, Bildwissenschaft als interdisziplinäres Unternehmen, in: Matthias Brun/ Karsten Borgmann (Hg.) Sichtbarkeit der Geschichte. Beiträge zu einer Historiografie der Bilder (Historisches Forum 5), Clio-online und Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2005 (http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/5), S. 63-72.

(2) Karin Knorr-Cetina, „Viskurse” der Physik. Wie visuelle Darstellungen ein Wissenschaftsgebiet ordnen. In: Jörg Huber/ Martin Heller (Hg)., Konstruktionen. Sichtbarkeiten, Springer, Wien/New York 1999, S. 249.