Strunck, Christina - Kieven, Elisabeth (Hg.): Europäische Galeriebauten. Galleries in a Comparative European Perspective (1400–1800). 436 Seiten u. 314 Abbildungen, davon 16 Farbtafeln. ISBN 978-3-7774-3551-0, € 130
(Hirmer Verlag, München 2010)
 
Recensione di Antonie Wiedemann
 
Numero di parole: 2034 parole
Pubblicato on line il 2012-05-30
Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
Link: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=1461
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          Der vorliegende, auf ein 2005 von der Biblioteca Hertziana organisiertes Symposion zurückgehende Band widmet sich einem der wichtigsten Räume frühneuzeitlicher Adelsresidenzen: der Galerie. In den einundzwanzig durchgehend hochwertigen Beiträgen werden nicht nur die Genese (Sektion 1: Die Entstehung des Raumtyps Galerie) und die unterschiedlichen Ausartungen dieses Raumtyps im europäischen Kontext (Abschnitt 2: Nationale Traditionen und kultureller Transfer) untersucht, sondern auch die Funktionen (Abschnitt 3) und die Wahrnehmung von Galerien (Abschnitt 4) in der Frühen Neuzeit (1400-1800) analysiert. Im Blickpunkt steht dabei nicht, wie in der Vergangenheit häufig, die Analyse einzelner Galerien, sondern eine komparatistische Perspektive, die auf den grundlegenden, aber inzwischen durch die Forschung eingeholten Arbeiten von Wolfram Prinz zu diesem Thema aufbaut.

 

          Dabei wird die Galerie nicht, wie dies umgangssprachlich häufig der Fall ist, als Ausstellungsort oder als Ort, in dem Sammlungen aufbewahrt werden, verstanden, sondern allgemein als eine langgestreckte, geschlossene bauliche Form, die durch dekorative Elemente gekennzeichnet ist, welche den Raum zum Besonderen erheben. Denn wie durch die hier zusammengefassten Studien deutlich wird, veränderte sich die Nutzung dieser Räume in unterschiedlichen nationalen, aber auch temporären Kontexten stetig: so wurden Galerien beispielsweise als Ort der Muße, als Verbindungsraum zwischen mehreren Appartements, als Wandelhalle und als Ausstellungs- und Repräsentationsraum genutzt. So wird deutlich, dass die beiden Grundmodelle der französischen und der italienischen Galerie, die bereits von Prinz identifiziert wurden, sich in ihrer Entwicklung gegenseitig bedingten und, bei Anpassung an die jeweils lokalen Gegebenheiten, über ganz Europa ausbreiteten. Aufgrund der großen Zahl von innovativen und interessanten Beiträgen können aus Raumgründen im Folgenden nicht alle einzeln angesprochen werden, was jedoch nicht heißt, dass die unerwähnt gebliebenen Artikel nicht lesenswert wären.

 

          Der einleitende Beitrag von Christina Strunck (S. 9) erläutert zunächst die Etymologie und den vielfältigen historischen Gebrauch des Begriffs anhand eines Überblicks über die frühneuzeitliche Kunstliteratur, die reich an Texten ist, die sich mit der idealen Architektur und Ausstattung von Galerien beschäftigen. Aus diesen wird deutlich, dass die Galerie teils als privater Raum, teils als öffentlicher Raum genutzt wurde. Die letztere Funktion als Repräsentationsraum gewann im Laufe der Zeit auch in Italien, wo die Galerie zunächst als privater Mußeraum verstanden wurde, an Bedeutung.

 

          Die folgenden fünf Beiträge widmen sich der Frage nach der Entstehung des Raumtyps der Galerie in unterschiedlichen europäischen Nationalkulturen. Dabei untersucht Jean Guillaume zunächst Galerien in Frankreich und England vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Er versteht dabei diesen besonderen Raum als Teil eines Ganzen, durch das ihm erst sein Sinn zugewiesen wird. Zur Analyse zieht er zahlreiche Grundrisse englischer und französischer Adelsresidenzen heran, anhand derer er, durch die jeweilige Verortung innerhalb des Raumsystems, die Nutzung und damit die Stellung der Galerie im höfischen Zeremoniell ermittelt. So sei die Galerie von  François I. in Fontainebleau als Privatraum konzipiert worden, welcher der wetterunabhängigen Deambulation diente, die aus zeitgenössischer Perspektive als unerlässlich für geistige Tätigkeit verstanden wurde. Dieses Modell sei um 1470 nach England exportiert worden sein, wie die Tatsache, dass die dort auftauchenden Galerien zunächst ebenfalls an die privaten Gemächer angebunden waren, nahe legt. Erst im 16. bzw. 17. Jahrhundert habe sich die Galerie zunächst in England, dann auch in Frankreich zum Repräsentationsraum entwickelt. Um 1630 entwickelten sich Guillaume zufolge Galerien, die der Öffentlichkeit zugänglich waren, dies im Rahmen einer neuen Konzeption der Adelpaläste, in der Privat- und Repräsentationsräume koexistierten und nicht mehr in einer festen Abfolge aufgereiht waren.

 

          Myra Nan Rosenfeld beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Hôtel de Cluny, wo sich die älteste noch bestehende Galerie in einem Pariser Palast befindet. Die Autorin hebt darin die Bedeutung der internationalen Kontakte der Orden sowie die zeitweise Verschiebung der päpstlichen Residenz nach Avignon für die Ausbreitung eines in ganz Europa verbreiteten Modells von Galerien und Loggien hervor.

 

          Einem Beitrag von Krista De Jonge, der den Ursprüngen der Galeriebauten in den habsburgischen Gebieten der Niederlande und Spaniens zwischen 1430 und 1600 gewidmet ist, folgt Christoph Frommels Untersuchung des gemeinsamen Ursprungs von “galleria” und “loggia” im Italien des 15. Jahrhunderts. Darin wird hervorgehoben wie komplex das Beziehungsgefüge zwischen italienischen und französischen Modellen ist.

 

          Die darauf folgende Sektion “Nationale Traditionen und kultureller Transfer” ist den unterschiedlichen nationalen Ausprägungen von Galerien unter anderem in Dänemark, Schweden, Spanien und Portugal sowie den Interdependenzen dieser Modelle gewidmet. Aus der Fülle der Beiträge sei besonders auf Sabine Frommels Untersuchung von Sebastiano Serlios Auseinandersetzung mit der Raumkategorie der Galerie hingewiesen. Anhand einer Analyse seines Libro delle habitazioni und seiner tatsächlich durchgeführten Bauten wird überzeugend dargestellt, wie der italienische Architekt nach seiner Emigration an den Hof Franz’ I. versuchte, die französische Tradition mit den italienischen Bauprinzipien der Symmetrie, des Gleichgewichts und der Regelmäßigkeit zu verbinden, ohne jedoch zu einem echten Verständnis der Unterschiede zwischen galerie und galleria zu gelangen.

 

          Eva-Bettina Krems fragt in ihrer Analyse der Galerien der Wittelsbacher im 17. und 18. Jahrhundert nach den Kriterien, die für die Konstruktion und Ausstattung von Galerien um 1710/1720 gegolten haben. Aus den Briefwechseln zwischen dem Kölner Kurfürsten Jospeh Clemens von Bayern und Robert de Cotte sowie jenem zwischen Bonner Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn und seinem Neffen, dem Reichsvizekanzler Friedrich Karl in Wien, wird die politische Wirkung, die in der Wahrnehmung der Zeitgenossen mit der Adaption des französischen oder italienischen Modells verbunden war, überzeugend herausgearbeitet.

 

          Im Folgenden stehen die unterschiedlichen Funktionen, die Galerien übernehmen konnten, im Blickpunkt. Christina Riebesell widmet sich in ihrem Beitrag den Antikengalerien im Cinquecento, die sie anhand von fünf Kriterien untersucht: der Ikonographie der ausgestellten Skulpturen, der Frage, ob diese restauriert oder integriert wurden, der Architektur der Galerien, der Funktionen, die diese übernahmen, und deren Zugänglichkeit. Antike Skulpturen wurden demzufolge in Galerien positioniert um diesen Würde zu verleihen; die Autorin hebt dennoch hervor, dass diese keinesfalls der alleinige Aufbewahrungsort von Antikensammlungen im 16. Jahrhundert waren.

 

          Eine zentrale Stelle innerhalb des hier besprochenen Bandes nimmt sicherlich die statistische Untersuchung der Dekoration und der Funktion von 173 Galerien in Rom und im römischen Umland (1500-1800) von Christiane Strunck ein, die unter anderem aufschlussreiche Ergebnisse hinsichtlich der Popularität dieses Raumtyps in der Frühen Neuzeit erbringt: der Großteil der Bauten geht auf das 17. Jahrhundert zurück (mit über 100 Neubauten, teils sogar innerhalb desselben Gebäudes), während sich im 18. Jahrhundert eine Sättigung abzeichnet. Die Autorin stellt zudem fest, dass die römischen Galerien generell kompakter als die französischen waren, was darauf zurückgeführt wird, dass sie aufgrund klimatischer Bedingungen nicht der Deambulation dienten, sondern schon früh als Ausstellungsräume wahrgenommen wurden. Zudem konnte ermittelt werden, dass die Galerien zunehmend die Repräsentationsfunktion der Sala Grande übernahmen; dies wird in Zusammenhang mit der Tatsache gesehen, dass fast die Hälfte aller Galerien von päpstlichen Familien oder Kardinälen gebaut wurden, einer sozialen Gruppe also, die darin die Möglichkeit sah, Macht und Reichtum zu repräsentieren, ohne auf die in der Sala Grande im Mittelpunkt stehende Darstellung der Ahnen zurückgreifen zu müssen. Wie Christina Strunck ermittelte, kam es im Laufe der Frühen Neuzeit auch zu einer Veränderung der Dekorationen: Wandfresken verlieren im Vergleich zu Deckenfresken an Bedeutung, während Gemälde als Dekorationen ab dem Seicento vermehrt zum Einsatz kommen, letztere im 18. Jahrhundert häufig in Verbindung mit Skulpturen und neuen Elementen wie Porzellan, Spiegeln und Seidentapeten. Der Autorin zufolge seien die römischen Galerien zwar im 16. Jahrhundert “a French ’import’ [but] in the 17th century the process was reversed, and Roman innovations in gallery design were exported back to France.” (S. 232).

 

          Angela Mayer-Deutschs Bericht über die Galerie des Jesuiten, Ägyptologen und Sprachforschers Athanasius Kircher verdeutlicht einmal mehr die Vielschichtigkeit des Galeriebegriffs und verweist zudem darauf, dass der Katalog einer Galerie nicht unbedingt deckungsgleich mit der tatsächlich existierenden Räumlichkeit oder Sammlung sein muss.

 

          Der Beitrag Gérard Sabathiers widmet sich in einem chronologischen Längsschnitt den Galerien der französischen Könige von Fontainebleau bis Versailles und stellt heraus wie deren Bildprogramme von den Monarchen bewusst als politisches Instrument eingesetzt wurden.

 

          Nachdem somit zunächst die beabsichtigte Wirkung dieser Räume untersucht wurde, knüpft Thomas Kirchner in der folgenden Sektion (“Die Perzeption von Galerien”) an dieses Thema an und diskutiert deren Rolle als Erlebnisraum von Geschichte. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass eine Galerie ähnlich wie ein Kunstwerk auf die emotionale Wirkung des Betrachters abzielt. So wird das Durchschreiten einer Ahnengalerie als “performativer Akt der Geschichtserfahrung” interpretiert.

 

          Auch Hendrik Zieglers Analyse von Reiseberichten um 1700 stellt die Grande Galerie von Versailles in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Auch aus kulturhistorischer Sicht erscheint dabei interessant, dass Galerien prinzipiell der Öffentlichkeit zugänglich waren und in Darstellungen durch Almanache und andere frühneuzeitliche Medien verbreitet wurden. Die ausländischen Besucher hatten so bereits recht konkrete Erwartungen bezüglich der Palastanlage und Galerie. Insgesamt, so der Autor, sind die Texte der Reisenden häufig durch kritische Urteile gekennzeichnet, insbesondere was die Ikonographie der Deckengemälde Lebruns betrifft. Diese Ablehnung werde zwar moralisch und ästhetisch argumentiert, gehe aber letztlich auf politische Motive zurück.

 

          Die abschließenden Beiträge sind der Galerie des Kardinal Camillo Massimo und einer Analyse der bekannten imaginären Galerien Giovanni Paolo Panninis, die auch den Einband der vorliegenden Veröffentlichung zieren, gewidmet.

 

          Der insgesamt hochwertige und reich bebilderte Band zeichnet sich schließlich auch durch ein Verzeichnis aller genannten Galerien aus, was ihn sicherlich auch in Zukunft zum Nachschlagewerk für die Forschung werden lässt. Wünschenswert für den Leser wären allerdings kurze Zusammenfassungen auf Englisch der in immerhin vier unterschiedlichen Sprachen verfassten Artikel gewesen. Die Fülle und die Qualität der während des Symposions vorgestellten Forschungen lassen hoffen, dass einer der beteiligten Autoren in Bälde eine zusammenfassende Studie vorstellt, die das Thema etwas stringenter fasst, als dies ein Tagungsband naturgemäß leisten kann.

 

 

Inhaltsverzeichnis:

 

CHRISTINA STRUNCK: Die Galerie in der Literatur. Historische Quellen zur Definition, architektonischen Gestalt, idealen Ausstattung und Funktion von Galerien S. 9

 

1. Die Entstehung des Raumtyps Galerie

 

JEAN GUILLAUME: La galerie en France et en Angleterre du XVe au XVIIe siècle: emplacement et fonctions S. 35

 

MYRA NAN ROSENFELD: The Hôtel de Cluny and the Origins of the Gallery in the Parisian Hôtel S. 51

 

KRISTA DE JONGE: Galleries at the Burgundian-Habsburg Court from the Low Countries to Spain 1430–1600 S. 73

 

CHRISTOPH LUITPOLD FROMMEL: Galleria e loggia: radici e interpretazione italiana della »galerie« francese S. 89

 

2. Nationale Traditionen und kultureller Transfer

 

SABINE FROMMEL: »Un luogo per passeggiare«: Die Typologie der Galerie in Serlios theoretischem und praktischem Werk S. 107

 

BARBARA VON BARGHAHN: Longitudinal Architectural Spaces in Palaces of Spain and Portugal (1500–1800): Extolling the Queen’s Virtues and Power S. 129

 

MARTIN OLIN: Royal Galleries in Sweden and Denmark in the Seventeenth Century S. 151

 

EVA-BETTINA KREMS: Modell Italien oder Modell Frankreich? Galerien der Wittelsbacher im 17. und 18. Jahrhundert S. 165

 

DAVID WATKIN: Dance, Adam, Bonomi, Soane, and Hope: Links with France, Italy, and Holland S. 185

 

3. Funktionen von Galerien

 

CHRISTINA RIEBESELL: Sulla genesi delle gallerie di antichità nell’Italia del Cinquecento S. 197

 

CHRISTINA TRUNCK: A Statistical Approach to Changes in the Design and Function of Galleries (with a Summary Catalogue of 173 Galleries in Rome and its Environs, 1500–1800) S. 221

 

ANGELA MAYER-DEUTSCH: Die Galerie Athanasius Kirchers als ›Alphabet‹ der Wissensobjekte S. 261

 

GÉRALD SABATIER: La galerie royale française de Fontainebleau à Versailles, enjeux et stratégies S. 275

 

BARBARA GAEHTGENS: Die Galerien von Regentinnen. Von Katharina von Medici bis Anne d’Autriche S. 293

 

KATHARINA  KRAUSE: »Cabinet« oder »Galerie«. Die Räume der Sammlung im Paris des 17. und 18. Jahrhunderts S. 311

 

ULRIKE SEEGER: Die Galerien des Prinzen Eugen in der Hierarchie der Bauaufgaben S. 327

 

4. Die Perzeption von Galerien

 

THOMAS KIRCHNER: Die Galerie als Erlebnisraum von Geschichte. Französische Galerien u. ihre Ausstattungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts S. 339

 

HENDRIK ZIEGLER: »His house at Versailles is something the foolishest in the world...« La Grande Galerie de Versailles à travers les récits de voyageurs et d’ambassadeurs étrangers autour de 1700 S. 351

 

LISA BEAVEN: The Galleria of Cardinal Camillo Massimo in the Palazzo Massimo alle Quattro Fontane: Issues of Audience and Display S. 383

 

DAVID R. MARSHALL: The Ideal and Theatrical Gallery: Giovanni Paolo Panini’s Paintings of Imaginary Galleries S. 401

 

Tafeln S. 417

 

Orts- und Objektregister S. 433