Th. Stephanidou-Tiveriou, P. Karanastasi, D. Damaskos (éd.): Κλασική παράδοση και νεωτερικά στοιχεία στην πλαστική της ρωμαϊκής Ελλάδας. 536 p. ISBN: 978-960-12-2084-0. 53 €
(University Studio Press, Thessalonique 2012)
 
Compte rendu par Dietrich Willers, Universität Bern
 
Nombre de mots : 5524 mots
Publié en ligne le 2012-12-11
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
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Ce compte rendu porte également sur l’ouvrage :

 

AA.VV.: Έπαινος Luigi Beschi, ΜΟΥΣΕΙΟ ΜΠΕΝΑΚΗ, 7ο Παράρτημα, 314 ill., 464 p., 28 x 21,5 cm, ISBN 978-960-476-106-7 (ISSN 1109-4109)
(Musée Benaki 2011)

 

 

          Umfangreiche Kongressakten und Festschriften kritisch anzuzeigen und angemessen zu würdigen, ist eine ebenso undankbare wie unmöglich zu lösende Aufgabe. Auswahl ist unumgänglich, und die Entscheidungen über Berichtenswertes können nur subjektiv sein (griechisch geschriebene Beiträge werden im folgenden bevorzugt behandelt). Der Berichterstatter dieser Zeilen unterzieht sich dieser gleichwohl lohnenden Aufgabe, weil beide vorzustellenden Publikationen eindrücklich vom hohen Rang der klassisch archäologischen Forschung in Griechenland zeugen. In den Kongressakten sind Beiträge erfahrener wie jüngerer Forscher und Forscherinnen vereint, was ähnlich auch für die Festschrift Beschi gilt.  Von den geschätzten und hoch anerkannten griechischen Forschern der älteren Generation fehlen wenige, und jüngere, die sich hier mit wertvollen Beiträgen ausweisen, kommen hinzu.

 

          Für beide Bände gilt, dass sie insgesamt eine benutzerfreundliche typographische Gestaltung besitzen, beiden eine sorgfältige Redaktion gegönnt wurde, beide sehr wenige Druckfehler aufweisen und zumeist durch eine gute bis hervorragende Abbildungsqualität ausgezeichnet sind, insgesamt zwei Zeugnisse für den hohen Standard wissenschaftlicher Publikationen in Griechenland. Man sollte diese Fundgruben nutzen.

 

 

          1. Dass die Forschung zur kaiserzeitlichen Skulptur in Griechenland und allgemein zur künstlerischen Tätigkeit der kaiserzeitlichen Jahrhunderte in Griechenland eher spät eingesetzt hat, ist bekannt. G. Kokkorou-Alevra und K. Fittschen sahen in der Eröffnung der römischen Säle im Athener Nationalmuseum im Jahr 1995 den Anstoss zur Wende [1]. Doch man wird modifizieren: Vorausgegangen waren in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wenige Untersuchungen und auch die zusammenfassende Vorlagen etlicher Materialgruppen und Denkmälerklassen, worüber die Einleitung von Th. Stephanidou-Tiveriou (11-15) umfassend informiert. Besonders Frau Stephanidou-Tiveriou hat durch ihre befruchtenden und auch andere Forscher anregenden Arbeiten die klassische Archäologie in Thessaloniki früh zu einem Zentrum der archäologischen Erforschung des kaiserzeitlichen Griechenlands werden lassen. In Athen haben kürzlich Gelehrte mehrerer archäologischer Forschungsinstitutionen ein «Roman Seminar» – «Ρωμαϊκό Σεμινάριο» lanciert. Der Anstoss von 1995 führte meines Erachtens vielmehr dazu, sich wiederum vermehrt der genauen Untersuchung und Vorlage von Neufunden und Einzeldenkmälern zuzuwenden, was auch den anzuzeigenden Band prägt. Vieles wird hier erstmalig der Diskussion zur Verfügung gestellt. Aber auch Werke, für die der archäologische Befund fehlt, können erneut mit Erkenntnisgewinn befragt werden (z. B. O. Palagia, s.u.). Nach drei längeren Vorträgen folgen 34 Materialvorlagen und Kurzbeiträge in folgender Reihenfolge: 6 Aufsätze behandeln Funde aus Athen, 5 solche aus der Peloponnes, 2 handeln zu Böotien/Thessalien, 11 zu Makedonien, davon 5 mit Funden aus Thessaloniki, abschliessend 10 Beiträge, die sich unter Varia zusammenfassen lassen [2].

 

          Ein Schwerpunkt liegt bei der Behandlung von Grabdenkmälern. Allein 11 Beiträge haben dies zum Hauptthema, so dass sich wenigstens ansatzweise ein Überblick über den Variantenreichtum der Denkmäler am Grabe im kaiserzeitlichen Griechenland ergibt. Das reicht von den eigentümlichen thessalischen Stelen mit Reliefprotomen, die oben in Spitzbogen enden (I. Levendi, 251-263) über die thasischen Reliefmedaillons (B. Holtzmann, 409-416) hin zu der einsamen, grossformatigen Prachtädicula eines Isispriesters im Osten Makedoniens (Chr. Ioakimidou, 373-383) und zur Feststellung, dass sich auf Kreta keine spezielle Denkmalform herausgebildet hat (K. Sporn, 541-466).

 

          Zuerst die Hauptvorträge:

 

         G. I. Despinis (19-34) kommt mit der Untersuchung akrolither Statuen römischer Zeit auf ein Thema zurück, dem vor fast 40 Jahren seine Monographie gegolten hatte. Die erweiterte Untersuchung vor allem handwerklicher Spuren und technischer Aspekte ergibt neue Anhaltspunkte für die Erschliessung des inneren Aufbaus der Statuen.

 

         G. Koch (35-56) handelt über «Die attischen Sarkophage und ihre Bedeutung für die Kunst der römischen Kaiserzeit» und ermöglicht damit in der Tat wichtige Einsichten über den Bereich der Sarkophage hinaus. Von den drei grossen Produktionszentren gingen allein die attischen überwiegend in den Export. So erkennt K. attische Bildhauer, die im Osten und Westen des Imperiums tätig waren, und macht Skulpturen, Reliefs wie auch Rundplastik, dingfest, die von Bildhauern attischer Sarkophage gefertigt wurden. Ihr Einfluss war deutlich weitreichender, als bisher erkannt.

 

          R. R. R. Smith (57-73) wendet den Blick über Griechenland hinaus und handelt über die Rezeption älterer Denkmäler im spätantiken Aphrodisias.

 

          Die Mitteilungen zu attischen Skulpturen eröffnet I. Trianti (77-87) mit der Vorlage einer neuen Replik des «Athleten Petworth« aus dem Areal Makrijanni, bisher in 5 Kopfrepliken bekannt – also die typische Aufgabe, das Verhältnis der Repliken zueinander zu überprüfen und zu fragen, ob der Neuzuwachs deutlichere Aussagen über das verlorene «Meisterwerk» erlaubt. Die Forschung sieht in ihm eine phidiasische Athleten- (oder Amazonen-)Statue aus der Zeit um 430 v. Chr. Die Verf. erledigt die Aufgabe mit souveräner Materialkenntnis und macht ausserdem neue Vorschläge zur Datierung und Deutung des Originals, wogegen ich Bedenken habe. Die Replik Makrijanni schliesst sich in ihrem Zustand der schlichteren, zurückhaltend gearbeiteten Lockenbildung der Replik Abbati an. Doch das ist im Wesentlichen dem unfertigen Zustand der Replik Makrijanni geschuldet. Der Kopf ist nicht nur hinten, sondern auch auf der ganzen Kalotte unfertig. Ob der Habitus der Repliken Petworth/New York mit ihren stärker aufgebohrten und unterschnittenen Locken oder die Überlieferung Abbati dem verlorenen Original näher stehen, ist methodisch bisher nicht zu entscheiden. Eine wesentlich frühere Datierung als «um 430» ist so nicht zu begründen. Ferner schlägt Frau T. vor, in dem Typus eine hochklassische Eros- oder Apollonstatue zu sehen, und verweist auf den «Apollon Lykeios» des 4. Jahrhunderts mit dem gleichen Gestus des auf den Kopf gelegten Armes – für einen Athleten ein Gestus des physischen Ausruhens. Lukian sah dies ebenfalls so bei der Beschreibung des praxitelischen Apollon ( Lukian, Anacharsis 7), was aber nicht die Intention des Schöpfers im 4. Jahrhundert treffen wird. N. Himmelmann regte seinerzeit an [3], die Gebärde als Ausdruck ekstatischer Schau zu verstehen, d. h. als einen Epiphaniegestus. Einem Apollon oder Eros hochklassischer Zeit kommt diese Erscheinungsform nicht zu.

          O. Palagia (89-97) behandelt eine in Athen gefundene, leicht überlebensgrosse Peplosstatue, die seit 1995 im Athener Nationalmuseum ausgestellt ist und seitdem als klassizistische  Grabstatue spätrepublikanischer oder frühkaiserzeitlicher Jahrzehnte gilt. Sie bestätigt die Datierung in augusteische Zeit, erkennt aber in ihr anders und überzeugend eine Kopie eines hochklassischen Werkes. Das Original ist typologisch und stilistisch nächstverwandt mit der Prokne des Alkamenes. Die ungewöhnliche Armhaltung lässt eine Darstellung der Medea vermuten, auch dies ein plausibler Vorschlag, womit die Spur eines weiteren «Meisterwerks» sichtbar wird.

 

          Die Notgrabungen der letzten Jahrzehnte im Gefolge der grossen Bauunternehmungen in Athen haben u.a. unsere Kenntnis der spätantiken Stadt erweitert, die trotz Herulereinfall (267 nach Chr.), Erdbebenschäden (365 nach Chr.) und Gotensturm (395 nach Chr.) ihr vielfältiges Leben behielt. Zwei Ausschnitte liefern hierzu die Vorlagen zweier spätantiker Frauenporträts von A. Choremi-Spetsieri (115-127) und die Publikation der beiden kleinformatigen Skulpturen der Demeter und Kybele aus dem nordwestlichen Bereich des Nationalgartens durch St. E. Katakis (99-114). Sie stammen aus einer halbrunden offenen Exedra eines grossen Gebäudekomplexes mit Bauphasen vom 2. bis 5. Jahrhundert n. Chr. Die Kybelestatuette, typologisch konventionell bis auf den ungewöhnlichen Thron, datiert K. mit guten Gründen ins späte 4. Jahrhundert, während die sitzende Demeter, einzigartig dank ihres grossen Sitzkissens, der mittelantoninischen Zeit angehören soll, also zwei in ihrer Entstehung durch Jahrhunderte getrennte Götterbilder gemeinsam in einem privaten spätantiken Kultbezirk? Die Demeter ist noch dazu durch gut erhaltene Bemalung ausgezeichnet. Hat sich die farbliche Fassung über 250 Jahre unter freiem Himmel erhalten oder ist sie später nachgearbeitet worden? K. hatte, wenn ich recht sehe, ursprünglich zu einer über 100 Jahre jüngeren Datierung geneigt und entschied sich erst in einem zweiten Schritt zu der schwierigeren und im Hinblick auf die äusseren Umstände weniger wahrscheinlichen Datierung. Man wird auf die Publikation des Gesamtbefundes warten müssen. Schon jetzt ist bedeutsam, dass und auf welche Weise hier ein paganer Kult auf der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert an dieser Stelle überlebte.

 

          D. W. von Moock greift mit dem Beitrag «Zum Wiederaufleben attischer Grabreliefs in späthellenistischer Zeit» (151-162) das Problem auf, das er seinerzeit in seiner allgemein anerkannten Dissertation über die Grabstelen Attikas in der Kaiserzeit (1998) ausgeklammert hatte, nämlich die Frage nach den Gründen für den Wiederbeginn der figürlichen Stelen im 1. Jahrhundert v. Chr. Antworten auf diese Frage sind auch deswegen von Belang, weil es im ionischen Osten (z. B. Delos, Smyrna) anders als in Athen eine reiche ununterbrochene hellenistische Tradition figürlicher Grabreliefs gab. Eingangs rekapituliert der Verf., dass die Chronologie zumeist anhand typologisch-stilistischer Merkmale erschlossen werden musste, d. h. vor allem mit Hilfe der weiblichen und männlichen Frisuren (unglücklich demonstriert mit der Stele der Zosime [153 Abb. 1] aus dem 2. [!] Jahrhundert n. Chr.). Anders als bei den attischen Grabreliefs klassischer Zeit bleibt die Qualität der späten Stelen im einfachen handwerklichen Bereich bescheidener Werkstätten. Die Grabinhaber bzw. die Stifter der Grabdenkmäler gehörten den unteren Schichten an und waren etwa Kleinproduzenten, Händler, Handwerker, Soldaten, Ärzte. In einem ersten Schritt der Argumentation erledigt der Verf. die naheliegende Vermutung, dass es die delischen Werkstätten waren, die nach der Zerstörung ihrer Stadt nach Athen gewechselt wären und so den Anstoss zum Wiederbeginn gegeben hätten, setzen doch die attischen Stelen erst eine Generation nach der Zerstörung der Insel ein, und auch typologisch gibt es eindeutige Unterschiede gegenüber den delischen Grabstelen. Im folgenden mustert v.M. in drei Durchgängen ausführlich den Beginn der figürlichen Grabreliefs in Mittel-, Unter- und Oberitalien im 1. Jahrhundert, vermehrt ab der Mitte des Jahrhunderts, und stellt fest, dass dort ebenfalls schlichte Werkstätten für Mitglieder mittlerer bis unterer sozialer Schichten gearbeitet haben. Doch typologisch haben sie nichts mit den Stelen Attikas zu tun, die ihr Repertoire aus der spätklassisch-hellenistischen Vergangenheit beziehen. Die italischen Arbeiten blieben lokal beschränkt, Export fand nicht statt. Der Beginn bzw. Wiederbeginn in den italischen Zentren und in Athen setzte also etwa zur gleichen Zeit und in vergleichbaren gesellschaftlichen Schichten ein. Resümierend spricht v.M. von einem kulturellen Phänomen, das ausgehend von Rom und den kampanischen Städten die anderen italischen Regionen durchläuft und sich in den Kolonien ausserhalb Italiens ausbreitet. Tatsächlich scheint mir das Ergebnis offener und geringer. Wir haben es mit einem generellen gesellschaftlichen Aufstieg sozial unterer Schichten in verschiedenen Gegenden des Imperiums zu tun, deren Mitglieder nunmehr für ihr Andenken und Nachleben im Grabmal sorgen konnten. Ermöglicht wurde dies durch einen allgemeinen Mentalitätswandel (ein Begriff, den der Verf. nicht benutzt), dessen Gründe sich uns aber noch nicht erschliessen. Austausch im engeren Sinn ist nicht erkennbar.

 

          Die Vorlage von P. Themelis (177-191) über eine Bildhauerwerkstatt augusteischer Zeit in Messene erstaunt einerseits durch den entscheidenden Erkenntnisfortschritt vom Vortrag in 2009 zum publizierten Text, vor allem aber durch die Einzigartigkeit des hochbedeutenden Fundes. Auch der einleitende Abschnitt, die Übersicht über die Vielzahl der durch Inschriften und andere Quellen namentlich bekannten Bildhauer von Idealskulptur und Porträtstatuen aus Marmor und Bronze hellenistischer und frührömischer Zeit in und aus Messene beeindruckt. Die Fülle allein des Erhaltenen gibt wieder einmal und in besonders deutlicher Weise eine Ahnung von der immensen und dichten Präsenz der Skulptur im öffentlichen Raum hellenistischer Städte der griechischen Welt. Dem schliesst sich die Vorlage eines Skulpturenkomplexes an, einst antik provisorisch in der Zeit 2-4 n. Chr. (Datierung durch einen mitgefundenen Münzhort) in einem Heroenheiligtum neben dem Gymnasium in der Erde geborgen. Es sind lebensgrosse «Muster», «Modelle» (παραδείγματα) in Marmor für die Bildhauerwerkstatt, drei Paare von Händen, fünf Fussmodelle, drei männliche Porträttypen (der ältere «Realistische», der Intellektuelle, der athletische Jüngere) und ein Aphroditetypus. Für die Arbeitsweise von Werkstätten, die auf Standardwaren spezialisiert waren, ist der Fund ungemein erhellend, für die Forschung zum spätrepublikanisch-frühkaiserzeitlichen Porträt einmal mehr eine Warnung davor, typologische Bildniszüge als individuelle Darstellungen misszuverstehen. Die antike Vergrabung erfolgte wohl in der Folge eines zerstörerischen Erdbebens. Für die einige Jahre später erfolgte Bitte aus Messene an Kaiser Tiberius um Unterstützung bei der Beseitigung der Erdbebenschäden kann man auf die ähnliche Gesandtschaft der Städte am kleinasiatischen Hermos an Tiberius verweisen [4].

 

          Ein methodisches Kabinettstück archäologischer Arbeit an alten Funden und umfassender Kenntnis der Forschung liefert N. Kazakidi (193-211) mit der Vorlage von fünf Porträtstatuen (in unterschiedlichem Erhaltungszustand) aus Sikyon. Erkennbar sind drei männliche Himationstauen und zwei weibliche Mantelstatuen, alle im gleichen Format und von der Verf. in sicherem Zugriff als Arbeiten claudischer Zeit erkannt. Sie stammen aus den Grabungen der 30er Jahre von A. Orlandos im von ihm als Gymnasium bezeichneten Bau. Es muss sich um die Stiftung einer – leider nicht benennbaren –verdienten und führenden Familie von Sikyon handeln, doch der Bau, in dem sie aufgestellt waren, kann nicht das Gymnasium gewesen sein, was Orlandos einst ohne Zweifel so entschieden hatte. Die Verf. fragt , ob es sich um die neue, vielfach belegte Platzgestaltung der geschlossenen hellenistischen Agora gehandelt haben könnte, doch eine gesicherte Deutung ist noch nicht möglich.

 

          Des bedeutsamen Beitrags von Th. Stephanidou-Tiveriou (273-286) «Die Kultbilder des Tempels des Zeus und der Roma in Thessaloniki» muss wenigstens kurz Erwähnung getan werden, weil er für eines der grossen Rätsel der Topographie und Stadtgeschichte der antiken Stadt den Weg zum Verständnis öffnet. Es werden die alten und neuen Funde von dem im Westen gelegenen Fundplatz  des ionischen Tempels behandelt, der aus Teilen älterer Bauten in römischer Zeit wiedererrichtet wurde. Die Verf. verbindet die hadrianische Statue der Roma mit der neuerlich gefundenen des nackten ägistragenden Zeus, die sie ebenfalls hadrianisch datieren kann, verwirft mit guten Gründen die älteren Deutungen des Tempels und schliesst, dass es sich um denjenigen der Roma und des Zeus Eleutherios gehandelt haben muss. Ob man auch dem weiteren Schritt der Verf. folgen will, dass es sich bei dem Ägisträger um Hadrian in der Gestalt des Zeus handelt, ist gar nicht einmal entscheidend. Zeus Eleutherios war im Osten des römischen Imperiums mit dem Kaiserkult eng verbunden. Ein weiteres Indiz in der Argumentation der Verf. ist die Tatsache, dass Thessaloniki in hadrianischer Zeit Mitglied des Panhellenions wurde, das bekanntlich eng mit dem Kaiserkult verknüpft war.

 

          Umgekehrt ist die Vorlage des Neufunds einer lebensgrossen Dionysosstatue aus dem Ostteil der Stadt durch E. Trakosopoulou-Salakidou (297-306) allzu eng auf das Einzelwerk konzentriert, was nur zum kleinsten Teil der Verf. angelastet werden darf (s.u.). Das Werk aus thasischem Marmor, von der Verf. zutreffend im Umkreis der standardisierten kaiserzeitlichen Bacchus-/Dionysosstatuen verankert und in späthadrianisch-frühantoninische Zeit datiert, fällt durch seine sorgfältige, für die Gattung qualitativ überdurchschnittliche Ausarbeitung auf. Auch Farbreste sind erhalten. Doch das Werk wurde nicht in situ, sondern in «byzantinisch-nachbyzantinischer» Schicht bei Kanalisationsarbeiten gefunden. In der Nähe kamen noch der Torso einer weiblichen Gewandstatue und das Fragment einer Heraklesstatue zutage, die beide nur in einer Anmerkung erwähnt sind. Die archäologische Erforschung des Befundes wurde – wie so oft – durch die laufenden Tiefbauarbeiten behindert, teilweise verunmöglicht. Gleichwohl wünscht sich der Leser, von den Mitfunden wenigstens einen bildlichen Eindruck gewinnen zu können.

 

          P. Adam-Veleni publiziert den Einsatzkopf eines Frauenporträts des 3. Jahrhunderts von der kaiserzeitlichen Agora Thessalonikis (337-346), das seine weitreichende Bedeutung erst durch die Identifizierung als Bildnis der Kaiserin Marcia Otacilia Severa, der Gattin des Philippus Arabs gewinnt. Es handelt sich zweifellos um den offiziellen Typus der Kaiserin, der zuvor nur durch drei Repliken im Westen des Imperiums überliefert war. Wenn die Materialbestimmung als prokonnesischer Marmor zutrifft, wovon man ausgehen wird, die Ausführung also östlich ist und vermutlich einer lokalen Werkstatt verdankt wird, wovon auch die Verf. überzeugt ist, dann spricht die Lieferung des Kopiervorbilds in der kurzen Regierungszeit des Kaisers von 244 bis 249 eben nach Thessaloniki und die Aufstellung des Porträts im öffentlichen Zentrum der Stadt für ihre politische, ökonomische und kulturelle Bedeutung in der Mitte des 3. Jahrhunderts. Dem geht die Verf. ausführlich nach.

 

 

 

Inhalt (für die griechischen Titel in Übersetzung):

 

Georgios I, Despinis, Akrolithe Skulpturen römischer Zeit

Guntram Koch, Die attischen Sarkophage und ihre Bedeutung für die Kunst der kaiserzeitlichen Epoche

Roland R. R. Smith, The second lives of classical monuments in late antique Aphrodisias

Ismini Trianti, Ein neuer Kopf im Typus des Athleten Petworth vom Makrijanni-Areal in Athen

Olga Palagia, Die Peplosstatue Athen Nationalmuseum 3890: Römische Kopie oder Klassische Medea?

Stylianos E. Katakis, Statuette der Demeter und Kybele spätantiker Zeit aus Athen

Alkistis Choremi-Spetsieri, Spätantike Portraits aus Athen

Christina Papastamati-von Mook, Theater des Dionysos Eleuthereus. Die Skulpturen der römischen Skene: Chronologische, künstlerische und hermeneutische Probleme

Derk W. von Moock, Das Wiederaufleben der Herstellung der attischen Grabstelen im 1. Jh. v. Chr.

Anna-Vasiliki Karapanagiotou, Männlicher Porträtkopf aus Messene. Porträt und Gesellschaft auf der Peloponnes des späten 1. Jhs. v. Chr.

Petros Themelis, Werke namentlich bekannter Bildhauer und eine Bildhauerwerkstatt frührömischer Zeit in Messene

Natalia Kazakidi, Eine Familiengruppe von Statuen aus claudischer Zeit

Heinz Rupprecht Goette, Klassisches Original oder klassizistische Tradition der Kaiserzeit? Zum Relief Athen, Nationalmuseum Inv. 226 aus Mantineia

Stavros Vlizos, Ikonographische Paradoxe und hermeneutische Probleme: Grabstatue eines Jünglings aus Lakonien

Margherita Bonanno Aravantinos, La scultura di età romana nella Beozia: importazioni e produzioni locali

Iphigeneia Leventi, Grabreliefs aus Thessalien. Beiträge zur Skulptur Zentralgriechenlands zur Zeit der römischen Herrschaft

Emmanouil Voutiras, Stehender Sarapis aus Thessaloniki

Theodosia Stephanidou–Tiveriou, Die Kultbilder des Tempels des Zeus und der Roma in Thessaloniki

Barbara Smit–Douna, Ein Frauenkopf von der Ostmauer Thessalonikis

Eleni Trakosopoulou-Salakidou, Eine Dionysos-Statue der Kaiserzeit aus Thessaloniki

Katerina Tzanavari, Ein Marmorporträt Vespasians aus Veria

Emmanouela Gounari, Statuen von manteltragenden Männern im Archäologischen Museum Thessaloniki. Der «kanonische Typus» in Makedonien in der Kaiserzeit

Polyxeni Adam–Veleni, Weiblicher Porträtkopf von der kaiserzeitlichen Agora Thessalonikis

Dimitris Damaskos, Architektonische und schmückende Skulptur im Archäologischen Museum von Kavala

Viktoria Allamani–Souri, Die Grabdenkmäler in Relief aus Veria vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr. Tradition und Neuerungen

Chrysoula Ioakimidou, Ein tempelförmiges Grabdenkmal aus der Gemeinde Bahnstation Angista (Provinz Serres)

Eleni Papagianni, Grabreliefs römischer Soldaten in Makedonien

Vassiliki Gaggadis-Robin, Sculptures romaines de Bouthrôte

Bernard Holtzmann, Les médaillons funéraires de Thasos

François Queyrel, Mode de représentation des Julio-Claudiens dans les Cyclades. Traditions régionales et reprises de schémas iconographiques

Pavlina Karastanasi, Die Plastik Kretas in der Kaiserzeit

Katja Sporn, Römische Grabreliefs auf Kreta. Alte Tradition und neue Wege

Katia Mannino, Bronzi antichi dall’Adriatico: una statua di Polydeukion da Punta del Serrone (Brindisi)

Elisa Chiara Portale, Una «nuova» Livia da Leptis Magna. Osservazioni sul contributo delle botteghe attiche nell’elaborazione e diffusione dell’immaginario imperiale

Thoralf Schröder, Im Angesichte Roms. Überlegungen zu kaiserzeitlichen männlichen Porträts aus Athen, Thessaloniki und Korinth

Eirini Chioti, Einflüsse des 6. Bildnistypus der Jüngeren Faustina auf Privatbildnisse des griechischen Raums

Marco Galli, Antinoos heros e gli eroi della Seconda Sofistica

 

 

          2. Zum «Epainos Luigi Beschi» haben sich 37 griechische Freunde/Freundinnen, Kollegen/Kolleginnen und Schüler zusammengefunden, um einen wahren Freund Griechenlands und bedeutenden Forscher besonders der griechischen Archäologie zu ehren. Beschis griechischer Schüler A. Zarkadas stellt eingangs die Leistung des Geehrten im wissenschaftlichen Werk sowie als Ausgräber und Lehrer dar, was G. Despinis im Anschluss mit persönlichen Worten noch konturiert. Beschis umfang- und inhaltreiches Schriftenverzeichnis fehlt selbstverständlich nicht. Eine einheitliche inhaltliche Ausrichtung der Einzelbeiträge konnte angesichts so vieler unterschiedlicher Forscherpersönlichkeiten mit unterschiedlichen Forschungsorientierungen nicht erreicht, auch gar nicht angestrebt werden. Im Buch ist alphabetisch nach Autorennamen geordnet. Inhaltlich zusammengefasst ergibt sich etwa folgende Gruppierung. Die Vorstellung von Neufunden in Athen und Attika (Vlassopoulou, Vlizos, Dekoulakou, Trianti, Choremi-Spetsieri) und im übrigen Griechenland (Zaphiropoulou, Kaltsas, Kokkorou-Alevra, Touloupa) bieten neun Autoren als Ehrengabe (was gewiss auch zu den folgenden Gruppen gezählt werden könnte); zur Skulpturenforschung – Original und Kopie, Rundplastik und Relief – tragen zehn Verf. bei (Vikela, Voutiras, Delivorrias, G. Despinis, Zarkadas, Leventi, Moustaka, Palagia, Touratsoglou, Tsakos); weiterhin: Architektur und Urbanistik zwei Beiträge (Valavanis, Matthaiou), Keramik und Bronzen und zwar sowohl hinsichtlich Gattungsproblemen als auch ikonographischer Themen neun Beiträge (Aik. Despini, Drougou, Kourou, Kyrkou, Lebessi, Malagardi, Simantoni-Bournia, Tiverios, Walter-Karydi), epigraphische und literarische Quellen drei Beiträge (Papapostolou, Pikoulas, Themelis), schliesslich Rezeption und Neuzeit vier Beiträge (Karastanassi, Mallouchou-Tufano, Papanicolaou-Christensen, Tanoulas). Die gewählten Gegenstände und Themen haben unterschiedliche Bedeutung und können nicht alle weit über das Einzelobjekt hinaus auf generelle historische Aspekte verweisen. Aber alle Einzeluntersuchungen sind methodisch konsequent und im Ergebnis stimmig angelegt, so dass sich die Berichterstattung darauf beschränken kann, auf einzelne Beiträge mit wenigen Kommentaren hinzuweisen.

 

          St. Vlizos (37–48) gelingt ein ‹Neufund› im Magazin des Athener Nationalmuseums. Der Einsatzkopf eines bärtigen jungen Mannes der Zeit um der Zeit um 130 n. Chr. entspricht auf das feinste den Porträtkonventionen der Zeit in Attika. Die wohldrapierten Haarlocken, der gepflegte, kurz gehaltene Bart und die ebenmässigen Gesichtszüge mit grossen regelmässig geschnittenen Augen kennzeichnen den Mann des Geistes und lehnen sich eng an das Hadriansporträt an. Der stilistische Habitus ist durch und durch attisch. Alles dies legt der Verf. mit sicherem Blick dar. Hier verdient das Werk den ausdrücklichen Hinweis wegen seiner deutlich überdurchschnittlichen Qualität.

 

          Keines der Skulpturenfragmente, die auf dem Makrijanni-Areal bei Metro- und Museumsbau zutage kamen, ist in situ gefunden worden. Sie alle waren offensichtlich als Bau- und Rohmaterial verschleppt worden. Das gilt u. a. für die Fragmente von Idealskulptur, die Chr. Vlassopoulou (25–35) vorlegt, ein Artemistorso, als Variante des Typus «Artemis Colonna» zu identifizieren, ein Hygieiakopf vom Typus «Hygieia Hope» und ein Athenakopf vom Typus der «Athena Vescovali». Ähnlich steht es mit dem Asklepiosrelief, das I. Trianti (381–396) vorstellt. Dass es, wie so manches andere Fragment, in der Spätantike aus dem nahe gelegenen Asklepieion kommt, hat viel für sich, haben doch schon die Ausgrabungen des späten 19. Jahrhunderts im Heiligtum eine Fülle von Marmorarbeiten in Rundskulptur und Relief erbracht. Das erhaltene Relief aber ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich, wenn nicht singulär. Den Rahmen bildet ein Naiskos ionischer Bauordung (!), was auf den Tempel des Gottes selbst anspielen könnte. Auch dass Asklepios im Weihrelief allein [5] und in einem klar erkennbaren Statuentypus, dessen Kopienüberlieferungen wir mittlerweile gut überschauen, dargestellt ist, führt die Verf. zu dem sympathischen Vorschlag, im Relief einen Reflex  des spätklassischen Kultbildes zu erkennen. Ein verdienstlicher gewissenhafter Anhang dokumentiert die Mitfunde aus dem gleichen Abfalldepot, noch einmal sind Aklepios und Hygieia prominent vertreten.

 

          N. Kaltsas (151–159) macht die fragmentierte archaische Kore, die 1993 vom J. Paul Getty Museum erworben worden war und 2007 den griechischen Behörden übergeben wurde, mit ausführlicher Analyse zugänglich. Dass das eindrucksvolle Werk einer parischen Bildhauerwerkstatt entstammt und etwa um 530 v. Chr. entstand, muss mit der Stilanalyse erschlossen werden, kann aber als gesichert gelten, auch wenn ein Fundort auf Paros oder sonst in Griechenland weiterhin unbekannt bleiben. Für das bedeutende Kunstwerk wünschte man sich eine ausführlichere Bilddokumentation, als hier vorgelegt (Abb. 5–8 sind nur massstabsgleiche Wiederholungen der Abb. 1–4).

 

          E. Vikela (13–24) knüpft an die epochemachende Publikationen Beschis zum Weihrelief des Telemachos, des Begründers des athenischen Asklepios-Heiligtums [6], an und überprüft eine kleine Anzahl klassischer Weihreliefs – keines davon bisher unpubliziert – und vertieft Beobachtungen, denen in der Forschung bereits vorgearbeitet war. Es sind die begleitenden Inschriften die den Rang des Stifters und seinen persönlichen Darstellungswillen erkennen lassen [7], so dass damit Vorstufen zur Selbstdarstellung hellenistischer Zeit fassbar werden.

 

          Auch E. Voutiras (49–58) greift mit dem Weihrelief der Xenokrateia, ebenfalls ergänzt durch die längere Weihinschrift, ein scheinbar verwandtes Thema auf, entwickelt aber eine andere Fragestellung. Eingangs trägt er zur Lesung und damit zur Interpretation der Inschrift bei und verdeutlicht damit, warum Xenokrateia ihren Sohn unter den Schutz des Kephisos in Anwesenheit der anderen Götter stellt. Die nachfolgenden (wichtigen) Überlegungen klären die Umstände, die zu der Gründung des kleinen Kephisos-Heiligtums innerhalb der langen Mauern in Neo Phaliro durch die Stifterin führten. Sie erfolgte bald nach der Besetzung Attikas durch die Spartaner im Sommer 413, als die Landbewohner und damit auch die Stifterin gezwungen wurden, innerhalb der Mauern Zuflucht zu suchen.

 

          A. Delivorrias (69–86) bleibt seinem Forschungsschwerpunkt «Kopienkritik und Meisterforschung» klassischer Skulptur treu und handelt über den Typus der «Athena Ince». Die reiche Überlieferung in Kopien und ‹Varianten› zeugt für die Bedeutung und den Ruhm des unbekannten verlorenen Urbilds. Die erste Beobachtung des Verf. hat viel für sich: das Urbild war nicht frontal in Vorderansicht aufgestellt, sondern leicht zu seiner Rechten gewendet, woraus folgt, dass es in einem Gruppenzusammenhang gestanden haben wird. Der Verf. vermutet sodann, dass in der Athena Ince die Athena des Alkamenes aus der Hephaistos-Athena-Gruppe im Athener Hephaisteion zu erkennen sei, was rein spekulativ bleiben muss. Den Platz nahmen auch schon die «Athena Hope–Farnese» und die «Athena Cherchel–Ostia» ein.

 

          Ein willkommener Fund gelang A. Zarkadas (117–131) im Bestand des Athener Kanellopoulosmuseums. Er identifizierte einen Statuettenkopf aus Marmor als Wiederholung der nach rechts eilenden «Athena Epidauros», und von einem weiteren Athenaköpfchen im Akropolismuseum wies er nach, dass es sich nicht um eine Nachbildung der Parthenos handelt, sondern er ebenfalls zum Typus der Athena Epidauros gehört. Angesichts der erweiterten Überlieferungslage des Typus, zu dem auch die grossformatige Akrolithstatue in Thessaloniki gehört, wird die Frage nach dem dahinter stehenden Urbild dringlicher. Der Verf. schliesst sich zu Recht keinem der in der Forschung vertretenen Vorschläge an und besteht auch darauf, dass es für das Problem der Chronologie weiterer Untersuchungen bedarf.

 

          Kurz genannt werden soll die Neuvorlage und Diskussion der wenigen erhaltenen Platten vom Fries des ionischen Tempels am Ilissos durch I. Leventi (213–222), weil die Besprechung an die grosse Interpretation des Frieses des Poseidon-Tempels in Sounion durch die Verf. anschliesst [8] und damit insgesamt eine aktuelle Grundlage zum Studium der hochklassischen Architekturfriese gegeben ist.

 

          A. Moustaka (273–282) korrigiert die Interpretation eines hocharchaischen Terrakottakopfes von halber Lebensgrösse aus den Grabungen der achtziger Jahre in Rhamnous und rekonstruiert ein bedeutendes Kultbild der Göttin von Rhamnous in unerwarteter Gestalt. Das isolierte Köpfchen aus dem 2. Viertel des 6. Jahrhunderts galt als Sphingenkopf eines Akroters des archaischen Tempels. Die Verf. erkannte an der Materialqualität und an der Datierung des Dekors die Zugehörigkeit weiterer Fragmente. Der Kopf erhebt sich damit auf einem säulenartigen Körper, der sich nach unten hin in leichtem Schwung kegelähnlich verbreitert. Die Statuette erreicht eine Höhe von immerhin ca. 70 cm.

 

          O. Palagia (283–293) deutet – in genauer Kenntnis der bereits ausufernden Diskussion um die Interpretation der Statue – den Jüngling von Mozia als griechischen Seher aus einer Statuengruppe einer parischen Bildhauerwerkstatt, die Gelon von Syrakus anlässlich des Sieges von Himera 480 v. Chr. stiftete. So sehr griechische Seher auch den Kampfhandlungen ihrer jeweiligen Parteien zur Seite stehen konnten, eine wirkliche ikonographische Parallele eines griechischen Sehers mit gegürtetem Chiton und Waffen ist bisher nicht gefunden worden. Eine (eher fragwürdige) Gegenposition hatte N. Bode in ihrer Bochumer Dissertation von 2001, die die Verf. nicht zitiert, vertreten [9].

 

         K. Tsakos (397–408) bricht eine Lanze für den Jüngling vom Kap Phonias in Samos und versucht zu erweisen, dass der Fundort, an dem er 1902 zutage kam, auch der Ort seiner antiken Aufstellung war. Die beiden wichtigsten Argumente sind einerseits Theodor Wiegands Information von 1906, dass die «formlose Basis der Figur» mitgefunden wurde, die für die bisher vermuteten Raubgräber an der kleinasiatischen Küste ohne Handelswert war, und andererseits die Tatsache, dass nahe der Landspitze neuerdings archaische Gräber lokalisiert sind, der Fundort also nicht so isoliert ist, wie es die ältere Forschung annehmen musste. Die nicht erhaltene [10] «formlose Basis» bleibt ein Problem: um den Stein als Basis der Mantelstatue zu verstehen, müsste die Einlassung für die Plinthe erkennbar gewesen sein. Dass sie dennoch nicht mit der Statue geborgen wurde, bleibt schwer verständlich. Es bleibt ausserdem die stilistische Distanz des Jünglings vom Kap Phonias zur archaischen samischen Skulptur [11].

 

          Das Heiligtum des Apollon Pythios in Athen, vom jüngeren Peisistratos begründet, hatte im Kult- und Festjahr der Stadt Bedeutung. Die Agone des Thargelienfestes fanden hier statt, und die Sieger stifteten ihre choregischen Weihgeschenke in dieses Heiligtum. Basen von Dreifüssen mit Inschriften und Fragmente des archaischen Altargeisons waren sekundär verbaut südlich des Olympieions gefunden worden, aber die genaue Lage und die Grenzen des Heiligtums bleiben unbekannt. I. Travlos vermutete seinerzeit das Zentrum etwa 200 m südlich des Olympieion-Temenos. P. Matthaiou (259–271) versucht, ebenfalls mit epigraphischen Quellen, aber auf breiterer Grundlage, die Lage des Pythions zu präzisieren. Epigraphische Neufunde auch auf Keramikscherben und ein neues Fragment des Altargeisons (s. Nachtrag auf S. 267) helfen weiter. Dadurch wird möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass das Heiligtum weiter nördlich bereits unterhalb der Südwestecke des Olympieions nahe dem dort gelegenen Felsrücken seine nördliche Begrenzung hatte.

 

        N. Kourou (189–200) diskutiert eine frühgeometrische Schulterhenkelamphora unbekannter attischer Herkunft im Athener Nationalmuseum, die die Verf. nach den Regeln der Serie kurz im CVA behandelt hatte. Ihre Besonderheit besteht darin, dass unter ihrem Boden ein sorgfältig gefaltetes Tuch einst aus feinstem Stoff festgeklebt ist, durch die lange Lagerung im Boden fast komplett durchmineralisiert. Die materialkundliche Untersuchung des Stoffes durch Y. Spandidaki ist Teil der Publikation. Es könnte sich um den Schulterumhang (das Epiblema) der jungen Verstorbenen handeln, deren Asche in der Amphora bestattet war. Übergreifende Bedeutung gewinnt der Aufsatz der Verf. auch dadurch, dass er systematisch der unterschiedlichen Verwendung frühgeometrischer Schulterhenkel- und Bauchhenkelamphoren im Gräberwesen nachgeht und in einem anderen Durchgang die Zeugnisse textiler Reste in griechischen Gräbern zusammenstellt.

 

          Konturierte Reliefs (cut-out reliefs) in Ton und Bronze aus archaischer und vorklassischer Zeit Griechenlands entstanden in unterschiedlichen Werkstätten des Festlandes und der ägäischen Inseln. P. Jacobsthals Edition der «Melischen Reliefs» (1931) musste längst um andere Fundgruppen erweitert werden. Man kannte nunmehr die Gattung aus den anderthalb Jahrhunderten von ca. 600 bis 450 vor Chr. Für A. Lembesi (223-231) sind die Funde aus dem südostkretischen Heiligtum von Symi der Anlass, die Sonderentwicklung der Gattung auf Kreta aufzuzeigen. Allein hier setzen «ausgeschnittene» Reliefs kleinen Formats bereits ein Jahrhundert früher ein.

 

          M. Tiverios (349-361) behandelt die Ikonographie zweier attisch rotfiguriger Skyphoi des Penelope-Maler aus dem Jahrzehnt 450–440 vor Chr. in Bochum und Oxford. Beide zeigen in kontinuierender Darstellung von Vorder- und Rückseite athletische Wettkampfszenen, in Bochum den Boxkampf, in Oxford den Ringkampf. Auf dem Bochumer Skyphos ist singulär, dass auf der Rückseite eine Frau mit der Gerte der Kampfrichter in der Hand zur Vorderseite der Kämpfer hinblickt und hinter ihr unter einem grossen Dreifuss gleichsam gefangen in seinem Gestänge ein Mädchen steht. N. Kunisch, der seine Deutung mit Bezug auf die Schilderungen aus den Leichenspielen für Patroklos im 23. Buch der Ilias bezog [12], fragte, ob die Kampfrichterin die Göttin Athena sein könne, und sah in Dreifuss und Mädchenfigur zwei verschiedene Kampfpreise. Tiverios widerspricht mit einleuchtenden Gründen, versteht die Kampfrichterin als Darstellung einer Personifikation (Agonothesia?) und deutet die Mädchenfigur unter dem Dreifuss als Statuendarstellung. Der Oxforder Skyphos ist in anderer Hinsicht aufschlussreich. Seine ganz unterschiedlichen Nikedarstellungen auf der Rückseite und Vorderseite zeugen zusammen mit weiteren Pelikenbildern dafür, dass – anders, als man häufig meint – auch «zweite» und «dritte Sieger» geehrt werden konnten.

 

 

Inhalt (die Titel in der Formulierung der Abstracts)

 

Panos Valavanis, Exercises in Athenian topography: The theatre of Dionysos, the stoa of Eumenes, the assembly and the unfinished stoas oft he Pnyx

Eugenia Vikela, The historical character of certain votive reliefs and the promotion of their dedicators

Christina Vlassopoulou, Three idealistic sculptures found on the Makrygiannis plot now in the Acropolis Museum

Stavros Vlizos, Semantic connotations of a Roman portrait head

Emmanuel Voutiras, Phrontismata: Xenokateia’s votive relief and the sanctuary of Kephisos at Neo Phalero

Iphigeneia Dekoulakou, Sarapis and Isis with Bacchic Symbols on a lamp from the Sanctuary oft the Egyptian Gods at Marathon

Angelos Delivorrias, The Athena Ince statuary type and its interpretational dead-ends

Giorgos Depinis, Marthenoneia mikra

Aikaterini Despoini, Mythological representations on shieldbands found in Sindos

Stella Drougou, Black glaze «salt cellars» from tomb in the Aigai necropolis

Angelos Zarkadas, Head from a Statuette of Athena in the Canellopoulos Museum

Fotini Zaphiropoulou, A relief fragment oft he Severe Style from the cemetery of ancient Paros

Petros Themelis, Messenian Athletes

Nikolaos Kaltsas, A new marble kore in the National Archaeological Museum

Pavlina Karanastassi, The ‹Garden oft he Muses› at the Achilleion of Corfu and ist sculptural decoration

Georgia Kokkorou-Alevras, Another puzzling Laconian relief

Nota Kourou, Attic ash-urns for young maidens: A shoulder-handled amphora from an unknown Early Geometric grave

Maro Kyrkou, Innovation and art in the Attic Kerameikos

Iphigeneia Leventi, The Ilissos Ionic temple and its frieze revisited

Angeliki Lempesi, Dissemination of the technique oft he cut-out relief in bronze or clay among local greek workshops

Nassi Malagardis, A unique representation of a satyr dance scene in archaic Athens

Fani Mallouchou-Tufano, On the threshold of the Twenty-first century: the evolution ideas, new trends and approaches in the conservation of monuments

Angelos P. Matthaiou, The sanctuary of the Pythian Apollo by the Ilissos river

Aliki Moustaka, Fragments of an Archaic terracotta statuette from Rhamnous

Olga Palagia, The youth of Motya and the battle of Himera

Aristea Papanicolaou-Christensen, Pages from Martinus Rørbye’s travel diary

Ioannis A. Papapostolou, Aetolia in the Homeric Catalogue of ships

Yanis I. Pikoulas, Pausanias and Megalopolitike

Evangelia Simantoni-Bournia, Five small kraters from the sanctuary of Hyria on Naxos

Tasos Tanoulas, The ruins of Athens and the travellers

Michael Tiverios, Iconography and interpretation of scenes on two red-figure skyphoi by the Penelope Painter

Evi Touloupa, Helios and Selene

Ioannis Touratsoglou, A few words on ancient shipwrecks: the Artemision wreck

Ismini Trianti, A votive relief of Asclepios found on the Makrygianni plot

Constantinos Tsakos, The Kouros from Cape Fonia: A Samian indeed

Alcestis Choremi-Spetsieri, Bust of an elderly «sophist» from the SE slopes oft he Acropolis

Elena Walter-Karydi, The domestic mousike techne of women in Classical Athens

 

 

[1] K. Fittschen, in: St. Vlizos (ed.), Athens during the Roman Period. Mouseio Benaki, 4th Supplement (2008), 325f.

 

[2] Fast zeitgleich und in gleicher editorischer Manier wurde der Kongress zu kaiserzeitlicher Skulptur in Kleinasien von 2007 publiziert: F. D’AndriaI. Romeo (edd.): Roman Sculpture in Asia Minor. Proceedings oft the International Conference to celebrate the 50th anniversy oft the Italian excavations at Hierapolis in Phrygia, held on May 24-26, 2007, in Cavallino (Lecce). JRA, Suppl. 80, (Portsmouth, R.I. 2011).

 

[3] N. Himmelmann-Wildschütz, Zur Eigenart des klassischen Götterbildes (München 1959) 17 und Anm. 29.

 

[4] B. Weisser, AntPl 30 (2008), 105-112.

 

[5] Man vgl. dagegen die Vielzahl der sonstigen Weihreliefs aus dem Asklepiosheiligtum: J. N. Svoronos, Das Athener Nationalmuseum (Athen 1908) Taf. 33-40. 45–50. 53.

 

[6] s. auch einleitend G. Despinis ⅩⅩⅠ–ⅩⅩⅡ.

 

[7] formuliert in Anlehnung an W. Gauer, JdI 63, 1968, 146.

 

[8] I. Leventi, Der Fries des Poseidon-Tempels in Sounion, in: AntPl 30 (München 2008) 7–54 Taf. 1–14.

 

[9] N. Bode, Der Krieger von Milet und der Krieger von Mozia. Studien zur frühklassischen Plastik ostjonischen Stils. Diss. Bochum 2001, siehe http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/BodeNina/diss.pdf

 

[10] Tsakos a.O. 405 Anm. 6-7.

 

[11] z. B. H. Kyrieleis, IstMitt 46, 1996, 111.

 

[12] N. Kunisch, Erläuterungen zur Griechischen Vasenmalerei. 50 Hauptwerke der Sammlung antiker Vasen in der Ruhr-Universität (Köln 1996) 185–189 (der Oxforder Skyphos wurde hier nicht beigezogen).