Muller, Arthur - Mulliez, Dominique (avec la collaboration de Aubert, Catherine) : Cent ans de fouilles françaises à Thasos. Εκατό χρόνια γαλλικές ανασκαφές στη Θάσο. Collection Patrimoine photographique. 24 x 18 cm, 180 p., 202 ill., ISBN : 978-2-86958-246-0, 25 €
(École française d’Athènes, Athènes 2012 )
 
Reseña de Maria Deoudi, Universität Erlangen-Nürnberg
 
Número de palabras : 1128 palabras
Publicado en línea el 2013-03-20
Citación: Reseñas HISTARA. Enlace: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=1740
Enlace para pedir este libro
 
 

 

          In den Altertumswissenschaften gehört die Insel Thasos zu den gut erforschten Landschaften Griechenlands, dies dank der Ergebnisse der archäologischen Grabungen, die  maßgeblich unter der Leitung der École française d’Athènes (EfA) durchgeführt werden. Die Auswertung der vielfältigen Fundgattungen, die dabei entdeckt werden konnten, erscheinen regelmäßig in der Reihe Études Thasiennes, die ebenfalls vom französischen archäologischen Institut herausgegeben werden. Der wissenschaftliche Wert der mehr als 200 Beiträge wie auch der insgesamt 26 Monographien zu Thasos und seinen materiellen Hinterlassenschaften, können nicht hoch genug einschätzt werden, denn sie beleuchten nicht nur die Geschichte und historische Entwicklung der Insel, sondern bilden auch die Grundlage für die archäologische Bewertung der gegenüberliegenden griechischen Poleis entlang der thrakischen Küste wie auch des Hinterlandes, da die Forschung hierzu weitgehend auf den Ergebnissen aus Thasos fußt. Dieses spiegelt letztlich eine Situation wieder, die den antiken Wirtschaftverflechtungen entspricht, da durch mannigfaltige Untersuchungen inzwischen mehr als deutlich wurde, dass die griechischen Handelszentren aus Kleinasien und den vorgelagerten ionischen Inseln, von Attika bis hin zu Ägypten ihren Handel mit Thrakien weitgehend über Thasos abwickelten und von dort aus die an natürlichen Ressourcen reiche Küstenlandschaft zu erreichen suchten. Vor diesem wirtschaftshistorischen Hintergrund erklärt sich auch die reichhaltige wie auch vielfältige archäologische Überlieferung, die die Insel auszeichnet, sowie ihre Bedeutung im Kontext der modernen archäologischen Forschungen, für den weiteren geokulturellen Raum Nordgriechenlands und der Kolonien bis weit an die Schwarzmeerküste.

 

          Dabei kann die EfA auf 100 Jahre (1911-2011) erfolgreicher wissenschaftlicher Erforschung der Insel zurückblicken, bei der in großem Umfang die antiken Schätze und Zeugnisse der Geschichte der Insel geborgen werden konnten, die auch das Geschehen auf dem gegenüberliegenden Festlang zu verstehen erlauben.  Dieses 100-jährige Jubiläum war Anlass genug, einen Bildband herauszugeben. Der zweisprachige Band (französisch/griechisch) präsentiert unbekanntes Archiv- und Bildmaterial, das im Zusammenhang mit den archäologischen Arbeiten der letzen 100 Jahre auf Thasos entstanden ist. Ganz unterschiedliche Dokumentengattungen wie frühe Photographien, Grabungsnotizen und Zeichnungen, die oft genug von den Ausgräbern bei den Arbeiten angefertigt wurden, bilden die Grundlage des Bildbandes. Insgesamt werden 69 Zeitdokumente auf 263 Seiten abgebildet. Vorangestellt sind diesem Bildmaterial kurze Textabschnitte (S. 6-21), die eine knappe Erläuterung liefern. Allerdings stehen die beiden Abschnitte eher unverbunden nebeneinander und ergänzen sich keinesfalls. Dennoch ist das Buch schon wegen der gezeigten Dokumente, die selten genug publiziert werden, ein Stück Zeitgeschichte. In Bild und Wort wird die Entwicklung von einer allgemeinen Antikenbegeisterung hin zur heutigen Kulturwissenschaft mit Fokus auf die antiken Gesellschaften im Mittelmeerbereich nachgezeichnet. Dabei haben die Herausgeber (A. Muller & D. Mulliez) dem Bildband nur kurze Textabschnitte vorangestellt, die, wie bereits angesprochen, lediglich knapp das reiche Archivmaterial erläutern. Auf das kurze Grußwort des Direktors (S. 5) folgt der erste Textabschnitt (S. 6-8), der den frühen Reisenden gewidmet ist, die durch ihre aufmerksame Geländebeobachtungen und ihre oft sehr persönlichen Berichte ein dennoch klares Bild der materiellen Hinterlassenschaften zeichneten. Auf Thasos wie auch andernorts folgten die ersten Grabungen oft genug eben diesen Beschreibungen. Obgleich Thasos, wie anhand der vorgelegten Dokumente deutlich wird, schon seit der frühen Renaissance immer wieder das Interesse Gelehrter und adeliger Gesandter auf sich zog, wurden erste Grabungen erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchgeführt. Im Rahmen der Entwicklung der archäologischen Disziplin ist dies durchaus keine Ausnahme, wenngleich eine lange Verzögerung.

 

          Diesen frühen Pionieren und der Archäologengeneration ist der zweite Textabschnitt (S. 8-10) gewidmet. Ein interessantes Detail ist, dass die ersten Grabungsleiter der Genehmigung des osmanischen Reichverwalters bedurften, da die Insel zu diesem Zeitpunkt noch Teil des osmanischen Reiches war. Aber es waren noch weitere Genehmigungen nötig: Thasos war auch Teil des Interessensgebiets Ägyptens, so dass auch der ägyptische Vizekönig des osmanischen Reichs, der sog. khédive, jeder wissenschaftlichen Expedition zustimmen musste. In solchen Einzelheiten zeigt sich die komplizierte Situation Nordgriechenlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts, weist aber auch auf politische Strukturen hin, die schon in der Antike bekannt waren, da Thasos, wie auch andere Orte, unter der Herrschaft der Ptolemäer stand, die Ansprüche auf die Inseln geltend machten konnten. Dass diese Beziehungsstrukturen nicht erläutert werden, ist ein Manko dieses reichen Bildbandes und erschwert das Verständnis.

 

         I Kontext der ersten wissenschaftlichen Untersuchungen, die unter der Leitung der EfA durchgeführt wurden, wurden primär die sichtbaren Reste auf der Insel genauer in Augenschein genommen, denn von systematischen Grabungen war man hier, wie auch an den anderen antiken Stätten, noch weit entfernt. Auch wenn man nicht von Grabungen nach heutigen Maßstäben sprechen kann, bilden die Beobachtungen und Untersuchungen der sichtbaren Reste die Grundlage für alle weiteren Untersuchungen und sind der erste Schritt zur modernen Archäologie.

 

          Aufbauend auf den frühen Arbeiten konnte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Fülle an Befunden freigelegt werden, die ganz unterschiedliche Lebensbereiche der bewohnten Insel beleuchten. In der Summe ergibt sich daraus ein recht genaues Bild der antiken Polis. Bekannt ist nunmehr der öffentliche Bereich, die Agora, in der traditionell die administrativen, judikativen wie auch religiösen Belange versammelt waren. Es sind auch große Heiligtümer freigelegt worden, die den Stadtgottheiten und Heroen geweiht waren. Teil einer Stadt sind auch die Wohnquartiere, die für Thasos ebenso bekannt sind. Die zentralen Lebensbereiche der Stadt waren zumindest in klassischer Zeit von einer Stadtmauer umgeben, die ebenso repräsentative wie fortifikatorische Funktion hatte. Ergänzt werden muss das Bild durch die Nekropolen, die traditionell außerhalb der Stadt lagen.

 

          Ebenso wichtig wie die Befunde der Stadt, die hier näher beleuchtet werden, sind auch die daraus geborgenen Funde, die in diesem Band natürlich nicht angemessen gewürdigt werden können. Es wird dennoch nicht versäumt, zumindest kurz anzusprechen (S. 18), dass Thasos u.a. nicht nur das Prägerecht, sondern auch eine der wichtigsten Münzprägestätten in der griechisch antiken Welt besaß, und entsprechend umfangreiche Münzfunde entdeckt werden konnten. Wirtschaftliche Macht, Handelbeziehungen, Warenaustausch und Marktdominanz lassen sich daran gut ablesen, was sich auch in den weiteren Handwerksgattungen niederschlägt. Dazu gehören die Keramikproduktion wie auch die künstlerische Kraft der Stadt. Beides kann ebenfalls nur kurz angesprochen werden (S. 18). Es wäre insgesamt vorzuziehen gewesen, die Bedeutung der Stadt, die sich anhand der Funde erschließt, komplett auszublenden, anstatt sie so verkürzt anzureißen, da die wenigen Information weder dem Leser einen Einblick verschaffen, noch diese Zeilen der Bedeutung der Funde für das Verständnis einer antiken Stadt gerecht werden können. Man erkennt aber die Absicht einen weitgehend vollständigen Überblick bieten zu wollen, der zu dieser Lösung und Präsentation führte.

 

          Den Abschluss des Bandes bildet eine Übersicht mit allen 26 Monographien, die zu Thasos erschienen sind.

 

          Die Publikation ist insgesamt gesehen sehr informativ und umfassend, dabei elegant und folgt hohen ästhetischen Maßstäben; die Zusammenstellung des Materials bietet zudem eine kurzweilige Lektüre. Es wäre zu wünschen, dass andere archäologische Schulen, die auf eine ebenso reiche wissenschaftliche Tradition zurückblicken können, ähnliche Bildbände veröffentlichen, die den interessierten Lesers wie auch dem Fachpublikum viele Informationen auf kurzweilige Art vermitteln.