Hopp, Meike : Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien. 411 S. 48 s/w-Abb., 24 x 17 cm, ISBN 978-3-412-20807-3, Preis: € 29.90 [D]
(Boehlau Verlag, Wien 2012)
 
Reseña de Antonie Wiedemann
 
Número de palabras : 1226 palabras
Publicado en línea el 2013-09-23
Citación: Reseñas HISTARA. Enlace: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=1743
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          Mit ihrer Dissertation über die Aktivitäten des Münchner Kunsthändlers- und -auktionators Adolf (auch: Adolph) Weinmüller legt Meike Hopp eine in vielerlei Hinsicht wichtige und wegweisende Studie vor. Da die meist im Museum verankerte Provenienzforschung fast immer vom einzelnen Objekt, dem eigenen Bestand oder einer bestimmten Sammlung ausgehend recherchiert, steht das erarbeitete Wissen um die Gesamtzusammenhänge des Kunsthandels im Nationalsozialismus häufig an zweiter Stelle (1). Wichtige Erkenntnisse wurden bisher kaum zu einem Gesamtbild zusammengeführt. Die hier vorliegende, auch auf das singuläre Engagement der Nachfolgerinstution des untersuchten Auktionshauses gründende Studie geht hingegen von einem der zentralen Akteure im Münchner – später auch Wiener – Kunsthandel zwischen 1933 und 1945 aus, wodurch über den Einzelfall hinausweisende, strukturelle Ergebnisse gewonnen werden konnten. Dabei kann sich Meike Hopp auf eine beeindruckende Fülle untersuchten Archivmaterials stützen, das zum Teil auch in einem gesonderten Dokumentenanhang beigefügt wurde.

 

          Bevor die Autorin auf die Aktivitäten Weinmüllers während des Nationalsozialismus eingeht, stellt sie sehr kompakt zunächst dessen Haus für Alte und Neue Kunst im München der Zwischenkriegszeit vor (Kap. II, S. 21-29). Weinmüller, 1886 in der Nähe von München geboren, war zunächst als Oberforstdirektor in Bad Reichenhall tätig und widmete sich wohl nach einer Suspension infolge einer vierwöchigen Haftstrafe ab 1921 dem Kunsthandel, konnte aber bis 1933 kaum auf sich aufmerksam machen. Dabei kontextualisiert Meike Hopp auch die Rolle und das Selbstverständnis des Kunstmarkts zwischen 1918 und 1933, indem sie die unter anderem in Fachzeitschriften geführten Debatten zum Thema analysiert, in denen auch wichtige Grundsatzfragen zum Expertisenwesen und zur Preisbildung gestellt wurden. Diese hatten auch in den folgenden Jahren Einfluß auf die Umgestaltung des Auktionswesens, wie die Autorin im folgenden Kapitel aufzeigt.

 

          Im dritten Abschnitt des Buches („Auktionsgeschäft aus der Hosentasche“, S. 30-73) zeichnet Meike Hopp den Aufstieg des 1931 in die NSDAP eingetretenen Kunsthändlers nach der Machtübergabe nach. Er konnte zunächst durch sein berufsständisches Engagement hervortreten und nutzte dann geschickt seine engen Verbindungen zu IHK aus, für die er auch als Sachverständiger tätig war. Dadurch gelang es Weinmüller, ab 1937 eine Monopolstellung in der Kunststadt München zu erlangen. Von besonderem Interesse ist in diesem Kapitel auch die stringente Darstellung der Umgestaltung des deutschen Kunsthandels und deren rechtlicher Grundlagen während des Nationalsozialismus, woran Adolf Weinmüller als Vorsitzender des Reichsverbandes des Deutschen Kunst- Antiquitätenhandels e.V. maßgeblich beteiligt war. Die Ausschaltung der jüdischen Kunsthändler wurde bereits ab 1934 gezielt durch deren Ausschluß aus der Reichskulturkammer und damit aus dem Kunsthandel sowie durch das „Gesetz über das Versteigerergewerbe“ (1934) auch aus dem Auktionsgeschäft vorangetrieben. Meike Hopp lenkt in ihrer Untersuchung zudem erstmals den Blick auf den Akt Organisation des Kunst- und Antiquitätenhandels (1935), der ganz wesentlich zur endgültigen „Arisierung“ des Kunsthandels beitrug. Demnach hätten jüdische Betriebe ihre Geschäfte binnen vier Wochen „auflösen“ oder „umgestalten“ müssen; den bedeutendsten Institutionen wurde aber – aufgrund von Befürchtungen, dies könnte zu einem völligen Preiszusammenbruch auf dem Kunstmarkt führen – zunächst Aufschub gewährt. Dass es sich dabei jedoch nur um eine Fristverlängerung handelte, die jedoch nur von kurzer Dauer sein konnte, liegt auf der Hand.

 

          Dem besondere Fall der Abwicklung des einstmals bedeutendsten Münchner Kunstauktionshauses Galerie Hugo Helbig widmet die Autorin ein gesondertes Kapitel (IV., S. 74-103). Sie räumt dabei auch das Missverständnis aus, Weinmüller habe dieses „arisiert“ (S. 74), wenngleich sich dieser ab 1936 nach Erlangung der Versteigerlizenz als „arisches Konkurrenzunternehmen“ des eingesessenen Auktionshauses (S. 83) gebärdete. Es wird dabei bewusst, dass derartige Aktionen nur durch ein Netzwerk von beteiligten, davon profitierenden Personen und Institutionen durchgeführt werden konnten.

 

          Im fünften Kapitel wird schließlich der Aufbau des Münchner Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller im Leuchtenbergpalais am Odeonplatz erläutert und dessen - zumindest auf dem Papier - unabhängiger Kunsthandlung analysiert. Dabei konnte die Autorin nicht nur Informationen über die Mitarbeiter, zum Beispiel Ernst Wengenmeyer und Eberhard Arnold von Cranach-Sichart, und die Ausstellungstätigkeit erarbeiten, sondern auch die bisher unbekannte Tatsache ermitteln, dass der bekannte Kunsthändler Julius Böhlau über mehrere Jahre als stiller Teilhaber an Weinmüllers Kunstversteigerungshaus beteiligt war.

 

           Im folgenden zentralen Teil der Arbeit (Kapitel VI, S. 145-214) geht es um die zum Teil in mühevoller Kleinarbeit ermittelten Einlieferer zu Weinmüllers dreiunddreißig, zwischen 1936 bis 1943 abgehaltenen Auktionen, wobei sich Hopp hauptsächlich auf die wenigen erhaltenen annotierten Kataloge stützt. Dennoch gelingt es der Autorin, den Verlauf einzelner Versteigerungen detailliert zu rekonstruieren. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den versteigerten jüdischen Sammlungen, wobei die Autorin auch die Geschichte der Restitutionsverfahren in der Nachkriegszeit zum Teil aufarbeitet und auf diesbezügliche Unstimmigkeiten hinweist.

 

          Von den Einlieferern verlagert sich der Blick schließlich auf die Käufer (Kapitel VII, S. 215-223). Als prominenten Käufer konnte Meike Hopp Martin Bormann ermitteln, der bei Weinmüller Objekte für das „Braune Haus“, den Obersalzberg und das „Deutsche Schloß“ in Posen erwarb. Von den zahlreichen öffentlichen Sammlungen Münchens scheint nur die Städtische Galerie am Lenbachhaus als regelmäßiger Kunde der Versteigerungen aufgetreten zu sein.

 

          Ein gesondertes Kapitel nehmen die Aktivitäten des Kunsthändlers in Wien ein (VIII, S. 224-294). Weinmüller konnte durch geschickte Ausnutzung der entstandenen rechtlichen Grauzonen bereits 1938, sofort nach dem „Anschluß“ Österreichs, das „arisierte“ jüdische Auktionshaus S. Kende übernehmen, was zu erheblichen Mißstimmungen der ansässigen Kunsthändler führte. Sein übereiltes Vorgehen erklärt die Autorin mit der Befürchtung, daß das Auktionsgeschäft in der staatlichen Anstalt Dorotheum zentralisiert werden könnte, zu dem Weinmüller fortan in einem Konkurrenzverhältnis stand. In Wien wurden insgesamt 18 Versteigerungen durchgeführt. Hier war Weinmüller mehr noch als in München in „fragwürdige Transaktionen“ (S. 245) wie die sogenannte „Alt-Aktion“ verwickelt.

Besonders aufschlussreich für das Verständnis der Kontinuitäten nach 1945 auch im Kulturbereich ist das Kapitel über Schließung und Wiedereröffnung von Weinmüllers Geschäft (Kapitel IX, S. 295-309). Das Münchner Haus wurde 1943 stark bombardiert und das Geschäft nach Haimhausen verlegt. Im Gegensatz zu seiner Filiale in Wien, wo er nach Ende des Zweiten Weltkrieges steckbrieflich gesucht wurde, konnte Weinmüller seine Aktivitäten in München relativ problemlos wieder aufnehmen und bis zu seinem Tod 1958 fortführen. Zwar wurden Untersuchungen angestellt, doch im Staatsministerium für Unterricht und Kultus kam man zum Schluß, Weinmüller habe sich „im einzelnen nicht gerade unanständig benommen“ (S. 303).

 

          Insgesamt wird durch Hopps Studie deutlich, wie der Kunsthandel die Entrechtung jüdischer Sammler aus ökonomischen Beweggründen vorangetrieben und die Zwangslage der Emigranten zum eigenen Vorteil ausgenutzt hat. Es ist der Autorin gelungen, das gesetzte Ziel, „das Verständnis der Netzwerke des Kunsthandels im Nationalsozialismus voranzutreiben“, zu erreichen und dabei einen wichtigen Beitrag im Sinne einer Systematisierung der aus der Provenienzforschung entstandenen Ergebnisse zu leisten. Lediglich die 2006 erschienene Studie über das Dorotheum untersuchte bisher in ähnlicher Breite die Aktivitäten eines Akteurs auf dem Kunstmarkt des Nationalsozialismus (2). Besonders hervorzuheben ist auch der (gelungene) Versuch, die Entwicklung der Rechtslage im Kunsthandel während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten und verständlich darzulegen. Es wäre zu wünschen, dass die Autorin diese sowie weitere allgemeine Ergebnisse ihrer Analyse in einer vom Einzelfall abstrahierenden Form veröffentlicht, da sie eine wichtige Arbeitsgrundlage zum Kunsthandel und zur Provenienzforschung liefern können.

 

 

(1) Dies wird beispielsweise in einigen Sammelbänden deutlich, wie zum Beispiel E. Blimlinger (Hrsg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien. Wien, Böhlau, 2012 (Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung,3). Allgemein gefasster, allerdings auf Österreich beschränkt sind einige Beträge im Band: V. Pawlowsky/ H. Wendelin (Hrsg.), Enteignete Kunst, Wien, Mandelbaum, 2006 (Raub und Rückgabe, 3).

 

(2) S. A. Lütgenau/ A. Schröck/ S. Niederacher, Zwischen Staat und Wirtschaft. Das Dorotheum im Nationalsozialismus, Wien, Oldenbourg, 2006