Machaira, Vasiliki: Ελληνιστικά γλυπτά της Ρόδου. Κατάλογος. Τόμος Ι. Κέντρον Ερεύνης της Αρχαιότητος της Ακαδημίας Αθηνών. Σειρά Μονογραφιών, αρ.7 [Sculptures hellénistiques de Rhodes. Catalogue. Volume I. Centre de recherche sur l’antiquité. Série de monographies, no. 7], 28 X 21 cm, 146 p., 154 pl. h.t., ISSN 1106-9260, ISBN 978-960-404-195-4 (SET), 978-960-404-196-1, 80 €
(Académie d’Athènes, Athènes 2011)
 
Compte rendu par Dietrich Willers, Universität Bern
 
Nombre de mots : 1456 mots
Publié en ligne le 2016-02-27
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
Lien: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=1996
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          Der Band kam spät in die Hände des Rezensenten, doch er hat eine weitere Verzögerung der Vorlage zu verantworten. Ich übernahm es gern, ihn kritisch vorzustellen – eine ausgezeichnete Leistung von übergreifender Bedeutung. Mir sind die – gut informierenden – Rezensionen M. Vlachou, RA 2013, 414-415 und H. Kyrieleis, Gnomon 86, 2014, 377–379 bekannt. Hier folgen ergänzende Bemerkungen.

 

         Der Katalog legt 117 mehrheitlich als Fragment erhaltene Skulpturen aus Rhodos vor, die in der Zeit von 1947 bis 1974 in der Stadt Rhodos bei Forschungen und Notgrabungen des griechischen archäologischen Dienstes gefunden wurden. Sie weisen überwiegend unterlebensgrosses Format auf. Ungefähr die Hälfte war zuvor unpubliziert, der andere Teil unzureichend erwähnt und abgebildet. Ein Anhang ergänzt den Band mit 10 Skulpturen aus Lindos. Die vorzüglichen Photographien von Ilias Iliadis im reichen Tafelteil erleichtern die Arbeit mit dem Band erheblich. Eine Fortsetzung in zwei weiteren Bänden ist angekündigt. Sie werden hoffentlich auch aufklären, weshalb Funde nach 1974 hier nicht aufgenommen wurden.

 

         Der Publikationsstand zu hellenistischen Skulpturen auf oder aus Rhodos vor Erscheinen des anzuzeigenden Katalogs war gar nicht einmal schlecht: Giorgio Gualandi hatte 1979 den damals noch unpublizierten Bestand aus den italienischen Forschungen auf Rhodos vorgelegt (ASAtene 54, 1976 [1979], 7-259). Von dessen 245 Katalognummern gehören ca. 220 der hellenistischen Zeit an, auch diese überwiegend unterlebensgrossen Formats. Zusätzlich zitierte Gualandi weitere ca. 130 bereits zuvor publizierte Werke allein schon im Museumsbestand auf Rhodos, zu schweigen von sonstigem europäischen Museumsbesitz (einige bei Gualandi behandelte Skulpturen werden mit nunmehr vervollständigter Bilddokumentation erneut vorgelegt, z.B. 43 f. Nr. 3). In spezialisierten Untersuchungen zur hellenistischen Skulptur finden sich Abhandlungen zu rhodischem Material, allerdings mit methodisch problematischem und unsystematischem Ansatz (z. B. A. Linfert, Kunstzentren hellenistischer Zeit, Wiesbaden 1976 mit willkürlicher Auswahl; G. S. Merker, The Hellenistic Sculpture of Rhodos, Göteborg 1973). Die Verf. kennt das alles natürlich und benutzt es. Doch die übergreifenden Publikationen zur hellenistischen Plastik vernachlässigten diesen Bestand allzu oft (s. Gualandi 22 f.; Machaira 20-23). Auch in neueren Publikationen werden gewöhnlich nur zwei bekannte hellenistische Werke herangezogen, der sogenannte Helioskopf und die unterlebensgrosse kauernde Aphrodite (z. B. B. Andreae, Skulptur des Hellenismus, München 2001, 164-166 , dort nimmt der Verf. zum Problem der Existenz von rhodischen Bildhauerschulen eine ambivalente Position ein; E. Schraudolph in: P. C. Bol, Die Geschichte der antiken Bildhauerkunst III: Hellenistische Plastik, Mainz 2007, 212 Abb. 180 und M. Flashar, ebenda 336 f. Abb. 340, beide ohne auf den Kontext «Rhodos», «rhodische Bildhauerwerkstätten» einzugehen). Zum Teil mag das daran liegen, dass die Forschung traditionell auf die Skulptur grossen Formats und das «Meisterwerk» namentlich bekannter Künstler ausgerichtet war. Ausserdem aber ist der Aussagewert der älteren Funde dadurch beeinträchtigt, dass ihnen zumeist die Angaben zum Befund fehlen. Bei dem von Frau Machaira vorgelegten Material verhält es sich anders. Fundorte und Fundkontexte sind seinerzeit bei der Auffindung dokumentiert worden und werden von der Verf. sorgfältig ausgewertet. Von den 117 Katalognummern ist nur bei 13 der Fundort unbekannt, ein Werk (Nr. 81) kommt aus Kamiros. Der stark zerstörte fragmentarische Zustand aller Funde bedeutet aber auch, dass wir es nicht mit Sturzlagen am originalen Aufstellungsort zu tun haben können, allenfalls mit Nähe zum antiken Aufstellungsort (wenig berührt ist erfreulicher Weise die Oberfläche bei den Frauengestalten Nr. 60 und 72). Dennoch – die Fundortangaben verdichten sich – dank dem, dass die antike Stadtstruktur gut bekannt ist – zu einem Bild der Wohnkultur der hellenistischen Stadt, und die Fundkontexte geben ergänzend und komplementär Hinweise zur Problematik und Entwicklung rhodischer Bildhauerwerkstätten sowie der Ikonologie des Ausstattungswesens im privaten und halböffentlichen Bereich der Stadt (auch im Vergleich zur Situation auf Kos). Vier einleitende Kapitel bereiten auf diese Bewertung der Einzelwerke vor. Eben diese Auswertung unternimmt das letzte der einleitenden Kapitel. Zuvor skizziert die Einführung die politische Geschichte und Kulturgeschichte der Insel, sowie die Forschung zur hellenistischen rhodischen Plastik und zur Archäologie der Dodekanes.

 

         Machaira gliedert den Bestand typologisch nach formalen Motiven und Themen, nach weiblichen (Nr. 1–177) und männlichen Gestalten (Nr. 78–106) sowie Hermen (Nr. 107–117). Untergliedert wird in Gruppen, etwa «Musen» (Nr. 2–8), Typus der Aphrodite Tiepolo (Nr. 13–23), bekleidete weibliche Gestalten mit archaisierenden Elementen (Nr. 26–42), Hekate – Chariten oder Horen (Nr. 43–49), halbnackte weibliche Gestalten, die sich aufstützen (Nr. 60–67), Aphrodite nackt (Nr. 72–77), bekleidete männliche Gestalten (Nr. 78–82), nackte männliche Gestalten (Nr. 87–106). Zu einigen dieser Gruppen gibt es Vorbemerkungen. Mit präziser Bestandsaufnahme und kenntnisreicher Form- und Stilanalyse werden die Einzelwerke datiert und kunstgeschichtlich verortet. Die Fragen nach möglichen Werkstattzusammenhängen werden in diesem ersten Band noch nicht thematisiert.

 

         Gelegentlich bringt sich die Verf. mit ihrer Gruppenbildung in Schwierigkeiten. Mit dem Stichwort der «Musen» (S. 42–49) ist eines der grossen Themen der hellenistischen Freiplastik und des Reliefs angesprochen. So zahlreich und unterschiedlich im Format die Überlieferung auch ist, so sind doch nur wenige Funde aus hellenistischen Privathäusern mit Sicherheit bezeugt (B. S. Ridgway, Hellenistic Sculpture I, Bristol 1990, 270 f. Anm. 18-19). Ob die Aufstellung von Musenfiguren im privaten Bereich über die genannten Fälle hinaus üblich war, muss offen bleiben und kann auch durch die Funde von Rhodos nicht unterstützt werden. Keinen der Torsen Nr. 2–8 bezeichnet die Verf. ausdrücklich als Rest einer Musenstatue oder Statuette, weist aber auf typologische Nähe zu bekannten Musentypen hin. Doch ausgerechnet in diesem Komplex häufen sich die Exemplare ohne Fundortangabe (Nr. 3, 4, 6, 7), Nr. 5 (überlebensgross) stammt von der Akropolis ausserhalb der Stadt, Nr. 8 (lebensgross) ist ausserhalb im Süden vor der Stadtmauer gefunden, einzig Nr. 2 kam innerhalb der Stadt am Westrand zutage, kann aber nicht mit einem antiken Bau in Verbindung gebracht werden. Bei Gualandi (a.O. 63–71 Nr. 18–23) werden andere Funde als Musen in Anspruch genommen, zu denen Fundortangaben fehlen.

 

         Vom Typus der «Aphrodite Tiepolo» legt die Verf. 11 Fragmente und Torsen unterlebensgrosser Nachbildungen vor (S. 54–62), bemerkt aber auch einleitend, dass allein auf Rhodos 30 Exemplare bekannt seien. Der Typus ist vermutlich der verbreitetste Göttinnentypus hellenistischer Zeit in Marmor. Die Funde reichen von Kleinasien im Osten bis Sizilien, von Kyrene bis Makedonien und sind grossmehrheitlich unterlebensgross oder im Statuettenformat gearbeitet. Wesentliche Fragen bleiben unbeantwortet: Ob die Statue der Athener Agora von hoher Qualität in grossem Format (S. 55 Anm. 10) das Urbild («Original») ist und welche Stiftung den Anlass zur Errichtung und Weihung in Athen war, zu alledem gibt es zwar Vorschläge (ebenda), aber keine Bestätigung. Ebenso fehlt eine Erklärung dafür, dass ausgerechnet dieser Bildtypus eine so ausserordentliche Akzeptanz und Verbreitung fand. Die rhodischen Exemplare können hier nicht beitragen, weil bei allen Basen und Inschriften fehlen. In der Gruppe der leicht archaisierenden Frauengestalten (S. 64–74) war in der älteren Forschung die Benennung und Deutung der verschiedenen Typen umstritten (Hekate? Artemis? Kore?). Die Verf. versucht – mit Erfolg – etwas mehr Klarheit zu schaffen. Dass dreifigurige, aber kleinformatige Hekateia mit 7 Exemplaren (Nr. 43–49) vertreten sind, überrascht nicht. Auch Hekate konnte häuslichen Schutz bedeuten. Unter den zahlreichen halbnackten und unbekleideten Aphrodite- und Nymphenstatuetten sind diejenigen auf scheinbar unbearbeitetem Felsen sitzenden (Nr. 68–71) für die rhodische Park- und Grottenausstattung speziell charakteristisch. Einzig Nr. 71 wurde innerhalb der antiken Stadt gefunden, die drei anderen in der Nähe der antiken Parkanlagen (weitere Exemplare bei Linfert und Gualandi passim).

 

         Die ältere Forschung konnte mit den kleinformatigen Skulpturen in Rhodos – von der Blickrichtung auf die hellenistische «Grossplastik» kommend – nichts anfangen: «Es ist nicht zuviel gesagt, wenn behauptet wird, dass die Masse des hier [= auf Rhodos] Gefundenen dem Bereich des Nippes, kleiner Gartenplastik und so weiter, angehört, die wohl manchmal wichtige Typen kopiert, selber aber kaum Anspruch erheben darf, künstlerischen Eigenwert zu besitzen» (H. Lauter RM 76, 1969, 165 f.). Auch A. Linfert konnte in seiner eingehenden Behandlung des Kunstzentrums Rhodos (Kunstzentren, 82–101) auf abfällige Bemerkungen nicht verzichten. Abgesehen davon, dass die vorzüglichen Photographien des Buches die Bewertung in so manchem Einzelwerk direkt widerlegen (z. B. Nr. 2. 8. 16. 53. 55. 72. 82), lehrt die Wendung in der Forschung hin zur Mentalitätsgeschichte – auch derjenigen einer städtischen Gesellschaft des hellenistischen Rhodos – den Wert einer derart vorbildlichen Materialvorlage wie der hier anzuzeigenden.

 

         Es war oben betont worden, dass es sich bei dem von der Verf. vorgelegtem Material um einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt aus dem heute noch erhaltenen Bestand handelt. Doch über diese Skulpturen und Skulpturenreste hinaus darf der verlorene Schatz an Arbeiten in Bronze nicht gänzlich vergessen werden. Von ihm zeugen erhaltene Inschriften, zumeist auf Basen, und literarische Quellen. Den Bearbeitern der marmornen Skulpturen seien die Ergebnisse etwa der Untersuchungen von Virginia C. Goodlett zur Beachtung empfohlen: Collaboration in Greek sculpture: The Literary and epigraphical evidence. Ph.D. New York University, 1989, Ann Arbor 1993, bes. 131–169: Hellenistic Sculptural Collaborations: Rhodes; Dieselbe, Rhodian Sculpture Workshops, AJA 95, 1991, 669–681.Die Antwort von J. Isager (RM 102, 1995, 115–131, bes. 128–130) – auch diese wiederum mit Blickrichtung auf die «Grossplastik» formuliert – zitiert die Verf. in der Bibliographie – nur dort, denn die Bronzeplastik ist nicht ihr Thema.