Ressos, Xenia : Samson und Delila in der Kunst von Mittelalter und Früher Neuzeit. (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte, 108). 240 Seiten, 22,8 x 2,2 x 30,7 cm, ISBN-10: 3865688438, 49,95 €
(Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014)
 
Rezension von Verena Gebhard, Kunsthistorisches Institut in Florenz, Max-Planck-Institut
 
Anzahl Wörter : 1708 Wörter
Online publiziert am 2015-11-24
Zitat: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
Link: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=2501
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          Die Erzählung der schicksalhaften Liebe des Helden Samson zu Delila gehört zu den beliebtesten Bildsujets des Alten Testaments. Die Ikonographie der Schlüsselepisode der Schur Samsons wurde obgleich ihrer Popularität nur selten und meist im Kontext mit den berühmten Werken von Andrea Mantegna oder Peter Paul Rubens genauer analysiert. Mit der 2011 an der Universität Bonn eingereichten Dissertation von Xenia Ressos liegt nun erstmals eine monographische Studie der Samson und Delila-Darstellungen in einem zeitlichen Rahmen vom frühen Mittelalter bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts im nord- und südalpinen Raum vor. Die Autorin versteht ihre Arbeit als „Grundlagenforschung“ (S. 12) der Ikonographie und der Motiventwicklung der Samson und Delila-Episode. Neuerungen und Eigentümlichkeiten der Bildfindung widmet sie dabei ihr besonderes Augenmerk.

 

         Die kunsthistorische Forschung interpretierte das biblische Thema oftmals ohne sich mit Scholastik und Bibelexegese in der nötigen Tiefe auseinanderzusetzen. Stattdessen verfolgte man ab den 1970er Jahren beispielsweise einen sexualpsychologischen Ansatz mit einer Überbetonung der Sexualsymbolik in der Darstellung des Liebespaares Samson und Delila (so bei Madlyn Kahr: Delilah. In: The Art Bulletin, 54/3 (1972), S. 282-299). Andere Interpreten sahen eine Analogie zwischen dem alttestamentarischen Paar und Jesus und Maria in Pietà-Darstellungen – eine Parallelisierung zu der man sich aufgrund von bildformalen Ähnlichkeiten anstiften ließ. Nach der Lektüre von Ressos klar strukturierter Studie kann man derartige Interpretationen nur als äußerst gewagt bezeichnen.

 

         Die Publikation gliedert sich in eine Einführung in die biblische Geschichte aus dem Buch Richter auf welche zwei umfangreiche Kapitel mit der Darstellung des Themas im Mittelalter und der frühen Neuzeit folgen. Ein abschließendes drittes Kapitel widmet sich allein dem Tafelbild von Peter Paul Rubens in der National Gallery in London. Im Anschluss an den Text findet sich ein knapp gehaltener, jedoch übersichtlich gestalteter Katalog mit über 200 Motivbeispielen aus Baukunst, Buchmalerei, Graphik und Malerei vom 4. bis zum 17. Jahrhundert. Aus der Fülle dieses Materials traf Ressos eine exemplarische Auswahl, anhand derer sie chronologisch der Genese des Bildmotivs in Malerei und Graphik nachgeht. Der Text wird durch zahlreiche, leserfreundlich einbezogene Schwarz-Weiss-Abbildungen und wenige, aber qualitativ hochwertige Farbtafeln ergänzt. Eine umfangreiche Bibliographie sowie ein ausführliches Sach-und Personenregister beschließen die Arbeit.

 

         Zunächst liefert die Autorin einen Überblick über die christliche Überlieferung und Exegese der Episode, sowie die theologischen Grundlagen zum Verständnis der Geschichte. Samson gilt als eine interessante Figur innerhalb des Alten Testaments. Eigentlich ein durch und durch profaner, mit übermenschlichen Kräften ausgestatteter Held, wird Samson durch den religiösen Ehrentitel des Richters sowie den vorgeburtlichen Schwur der Mutter, welcher ihn als Nasiräer zu einem Geweihten Gottes machte, „theologisiert“. Die „folkloristische[n] und burleske[n] Züge“ (S. 19) seiner streng genommen rein privaten Racheakte machten von je her den Reiz der Samsongeschichte als Sujet aus. Die außerbiblische Überlieferung durch die frühen Kommentatoren – die bedeutendste Quelle ist dabei Flavius Josephus – unterstreicht die schon im Alten Testament vorherrschenden Bedeutung der Samson und Delia-Episode als Warnung vor Mischehen und der unbeherrschten Leidenschaft. Jedoch ist es erst Josephus, welcher Delila als Prostituierte konnotiert und der Geschichte so ihren moralisierenden Charakter verleiht. Ressos referiert gründlich und gewissenhaft die biblische und außerbiblische antike Überlieferung der Samson-Geschichte anhand der schriftlichen Quellen – was umso verdienstreicher ist, nachdem sich auch die theologische Forschung bislang nicht ausreichend mit Samson auseinandergesetzt hat. Die Autorin rekonstruiert in knapper und doch überzeugender Form die Genese des „Helden“ Samson, die für das Verständnis der Bilder wichtig ist.

 

         Die Motiventwicklung im Mittelalter und der Frühen Neuzeit stellt den Hauptteil der Arbeit dar. Ressos behandelt dabei jeweils zunächst die Darstellungen im sakralen Kontext. Sie konzentriert sich in ihrer Studie auf die Schlüsselszene mit dem schicksalsträchtigen Moment des Verrats Samsons durch Delila: Die Geliebte Samsons raubt dem in ihrem Schoß schlafenden Helden durch die Schur seiner Locken seine übermenschlichen Kräfte und wird von den Philistern für ihre Tat entlohnt. Der Großteil der mittelalterlichen sakralen Bildbeispiele stammt aus Bibelhandschriften, Historien- und Armenbibeln sowie aus den Bibles moralisées.

 

         Ab dem 12./13. Jahrhundert findet sich die Samson und Delila-Episode auch im profanen Kontext. Ressos zeigt anschaulich, wie sich die Beurteilung der Figur der Delila im Lauf des Mittelalters ändert: wird sie zunächst in der Profanliteratur unter dem Einfluss der Minnedichtung sogar positiv als Exemplum der verführerischen Frau, die den Mann durch die Macht der Liebe überwältigt, konnotiert, wandelt sich das Bild mit dem Aufkommen von stärker moraldidaktisch ausgerichteten Texten. Delila ist nun die sündige Verführerin und damit Beispiel für die Schlechtheit und Falschheit der Frau. Im Spätmittelalter ist eine zunehmend moralisierende Auslegung unter dem Einfluss einer misogyn geprägten Theologie zu beobachten. Ressos kann deutlich machen, dass es dabei auf die szenische Umsetzung der Episode in Bilder ankommt. Schon in den frühesten Bildbeispielen finden sich nämlich zwei ikonographische Varianten der Szene: so kann die Schur der Locken durch Delila selbst erfolgen oder aber durch eine männliche Gestalt in Funktion eines „Barbiers“. Die mittelalterlichen Darstellungen zeigen Delila in der Rolle der aktiven Täterin und betonen so die verderbliche Macht der Frau ungleich stärker.

 

         Innerhalb der Bibelillustration der Frühen Neuzeit stellt der „abenteuerlustige, von Intrigen und plötzlichen Wendungen seines Schicksals gebeutelte Held“ (S. 122) auch im 16. Jahrhundert ein beliebtes Thema dar. Delilas Verrat wird überkonfessionell als Exempel für die Gefahr, welche von außerehlichen und sinnlichen Liebesbeziehungen ausgeht, verstanden. Aufschlussreich ist die Analyse der Samson und Delila-Episode in der Lutherbibel (Wittenberger Urdruck): In Luthers Bibelübersetzung schneidet ein herbeigerufener Barbier die Locken Samsons. In der dazugehörigen Illustration der Cranach-Werkstatt wird Delila dagegen auf Wunsch Luthers als Täterin dargestellt. Delila repräsentiert für Luther die Sünde, der Samson zum Opfer fiel, und die Gott ihm dank seines Glaubens vergibt. Weiter noch, Delila könnte – so die Auslegung von Ressos – auf die katholische Kirche und das Papsttum sowie deren Verrat an Christus (Samson als Typus Christi) anspielen (S. 125).

 

         Noch stärker als im Mittelalter wird das Sujet in der Frühen Neuzeit auch auf profane Kontexte übertragen. In der moraldidaktischen Schrift „Der Ritter von Turn“ von Marquard vom Stein ist Delila eines seiner Negativbeispiele biblischer Frauen: Ausführlich behandelt Ressos den illustrierenden Holzschnitt Albrecht Dürers mit seiner außergewöhnlichen Ergänzung zweier kommentierenden Randfiguren in einem Fenster. Die Autorin interpretiert diese beiden Männer in einer allegorischen Lesart als Sapientia, welche Fortitudo auf die Gefahr der von Delila ausgehenden Luxuria hinweist. Weiter mutmaßt sie, ob Dürer mit der Hinzufügung des Fensters auf die Vorstellung des Auges als Fenster zur Seele bzw. als Tor der Sünde anspielen könnte (S. 145). Im Verständnis der mittelalterlichen Kommentatoren wird Samson im weiteren Verlauf der biblischen Geschichte geblendet, weil er durch die Versuchung der Sehkraft bzw. der „Augenlust“ der Sinnlichkeit Delilas verfiel.

 

         In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehören Samson und Delila zum Repertoire der aufgrund ihres hohen Unterhaltungswertes beliebten Weiberlistenzyklen mit der Darstellung von biblischen, mythologischen und historischen Liebespaaren. Ressos weist zurecht darauf hin, dass der stark misogyne Charakter der mittelalterlichen Darstellungen gegenüber einer neutraleren Position, deren Ziel die Förderung der Ehemoral ist, zurücktritt. Gründlich bespricht sie in diesem Zusammenhang die Graphikserien von Lucas van Leyden. Im Kontext der Weiberlistenzyklen wird die Episode von Samson und Delila auch in der Wand- und Tafelmalerei dargestellt. Sie findet Eingang in die Rathaus-Dekorationen des nordalpinen Raums, unter anderem in Nürnberg (Dürer) und Augsburg (Cranach). Ab dem 17. Jahrhundert hat sich das Sujet schließlich in der Historienmalerei etabliert.

 

         Mantegnas berühmter Darstellung der Schur Samsons (The National Gallery of Art, London) widmet Ressos einen ausführlichen Exkurs. Sie widerspricht den früheren Interpretationen, die zur Parallelisierung von Samson und Delila mit Christus und Maria in der Pietà führten. Die Autorin setzt sich v.a. mit einer Dissertation über die Grisaillen Mantegnas von 2008 und deren mariologischer Interpretation der Bildelemente auseinander (Sabine Blumenröder: Andrea Mantegna – die Grisaillen: Malerei, Geschichte und antike Kunst im Paragone des Quattrocento. Berlin 2008). Laut Ressos besteht „keinerlei theologische Grundlage für eine Parallelisierung“ (S. 168): Im Augenblick des Verrats wird Delila seit jeher dezidiert negativ verstanden und kann schon allein deshalb nicht für Maria stehen, wohingegen Samson in der christlichen Exegese seit jeher als Typus Christi gilt. Ressos stellt – beispielsweise gegen die sexualpsychologisch aufgeladene Interpretation von Hauser (Andreas Hauser: Andrea Mantegnas Samson und Dalila. Ein „antikes Kunstgenre als Präfiguration der Malerei? In: Mantegna e Roma. L’artista davanti all’antico. Hg. v. Teresa Calvano, Claudia Cieri Via und Leandro Ventura. Rom 2010, S. 219-235, hier S. 225-227), der Delila als „beschneidende und pfropfende Gärtnerin“ sowie „Vorläuferin der Heiligen Jungfrau“ ausdeutete – wieder den traditionell moralisierenden Charakter des Bildes in den Vordergrund, welcher auch durch die Inschrift, die vor der Bosheit der Frau warnt, bestätigt wird. Es bleibt anzumerken, dass es zumindest in der spätbarocken nordalpinen Kunst durchaus Beispiele für das Verständnis Delilas als Präfiguration der Gottesmutter gibt: im mariologischen Deckenmalereiprogramm der spätbarocken Ausstattung der Pfarrkirche von Altenerding bei München steht Delila in einer Reihe mit Esther und Judith als Vorbild für Maria als mächtige Schützerin – und dies im Moment der Schur Samsons (Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland. Hg. v. Hermann Bauer, Frank Büttner und Bernhard Rupprecht. Band 7. München 2001, S. 24).

 

         Schlusspunkt der Arbeit stellt Peter Paul Rubens um 1610 entstandene Tafel (ebenfalls in der National Gallery of Art, London) dar: so ist sie „Vorbild und Maßstab für viele folgende Malergenerationen“ (S. 179), weshalb das Kapitel als „Ausblick“ überschrieben ist. Ressos vermutet die Beliebtheit des Themas in den kommunalen Dekorationen des Spätmittelalters als Grund für die relativ ungewöhnliche Motivwahl durch Maler und Auftraggeber, den Antwerpener Bürgermeister Nicolaas Rockox. Die hinzugefügte Kupplerin verweist auf die Laster der Habgier und des Geizes, Delilas Darstellung als Hure dagegen auf das Laster der Wollust. Ressos deutet „Bezüge[n] zu kunsttheoretischen Topoi und intellektuellen Diskursen der Zeit“ an, geht aber an dieser Stelle des Buches nicht weiter darauf ein (S. 183).

 

         Die Dissertation von Xenia Ressos ist eine fundierte Untersuchung, die sich durch konzise ikonographische Analysen und solide Aufarbeitung der Quellen auszeichnet. Die Stärke der Arbeit liegt in klar strukturierten, chronologisch geordneten Aufbereitung des Bildmaterials sowie in den scharfsinnigen Bildanalysen. Angelegt als motivgeschichtliche Untersuchung eines einzelnen Sujets gelingt es der Autorin grundlegende Problematiken der Bibelillustration von frühen byzantinischen Septugetia-Illustrationen bis zur barocken Historienmalerei aufzuzeigen. Die zahlreichen Bildbeispiele sind sinnvoll angeordnet und folgen einer inhaltlichen Argumentationslinie. Anhand eines klar umgrenzten Bildthemas, welches nur wenige Figuren in ein eindeutiges Geschehen involviert, wird die für viele andere Bildthemen analog geltende Entwicklung von der Textillustration zum Historienbild nachvollzogen. Dank der sorgfältigen Bildbeschreibungen und Kontextualisierungen ist die Studie weit mehr als einen bloßer Überblick über die visuellen Repräsentationen von Samson und Delia in Mittelalter und Früher Neuzeit.