AA.VV.: (Blume, Dieter - Haffner, Mechthild - Metzger, Wolfgang - Glanz, Katharina). Sternbilder des Mittelalters und der Renaissance, Band 2, 28.0 x 21.0 cm, 1662 p., 1500 Fig., ISBN : 978-3-11-037601-2, 298 €
(De Gruyter, Berlin 2016)
 
Compte rendu par Verena Gebhard, Kunsthistorisches Institut in Florenz, Max-Planck-Institut
 
Nombre de mots : 1758 mots
Publié en ligne le 2017-08-28
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
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          Dieter Blume, Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters an der Universität Jena, ist ein ausgewiesener Spezialist der Bildwelt des Himmels. Mit seiner Habilitationsschrift von 1991 legte er ein wichtiges Werk zu den Planetenbildern in Mittelalter und Renaissance vor (Dieter Blume, Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000). Als erstes Teilergebnis des DFG-finanzierten Projektes "Corpus der mittelalterlichen Sternbilddarstellungen" erschien 2012 bei De Gruyter in zwei Bänden „Sternbilder des Mittelalters. Der gemalte Himmel zwischen Wissenschaft und Phantasie 800-1200“. Nur vier Jahre später legte das Autorenteam um Blume (Mechthild Haffner, Wolfgang Metzger sowie Katharina Glanz) nun als zweiten Teil die „Sternbilder des Mittelalters und der Renaissance“ vor, der den Zeitraum von 1200 bis 1500 umfasst. Gegenstand der umfangreichen kunsthistorischen und wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung sind 143 illustrierte Handschriften aus dem europäischen Kulturkreis. In drei Teilbänden mit insgesamt über 2000 Seiten ist die Geschichte der Sternbilddarstellung in lateinischen, griechischen und volkssprachlichen Handschriften eingehend nachgezeichnet. Das Werk von Blume, Haffner und Metzger steht in der Tradition von Fritz Saxls nie fertiggestelltem „Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters“ und wird zum äußerst nützlichen Standardwerk für Sternbilder avancieren.

 

         Ab dem 13. Jahrhundert spielt die astronomische Wissenschaft der Kalenderberechnung, welche in den frühmittelalterlichen Handschriften von großer Bedeutung war, eine untergeordnete Rolle – statt dessen werden die Astrologie und später auch die Mythologie für die Darstellung der Sternbilder wegweisend: „Astronomie, Astrologie und Mythologie sind jene drei Wissenskomplexe, in denen jeweils auf eigene Weise der gemalte Himmel und die Tradition der Sternbilderdarstellung unverzichtbar sind.“ (S. 15) In höfischen Zentren entstehen ab 1200 astronomische und astrologische Texte unterschiedlichen Niveaus, darunter vermehrt populärwissenschaftlich ausgerichtete Werke für den gebildeten Laien. Die antiken Texte werden zunächst außer Acht gelassen, bis sie im 14. Jahrhundert mit dem aufkommenden Interesse der frühen Humanisten an der Mythologie verstärkt gelesen und rezipiert werden. Dieter Blume entwickelt auf der Basis des imposanten Handschriftenkatalogs, dessen Ausarbeitung sich das Autorenteam untereinander aufgeteilt hat, eine umfassende und gut gegliederte intellektuelle Geschichte des Bildgebrauchs von Astronomie und Astrologie zwischen 1200 und 1500 in Handschriften und im frühen Buchdruck, von den Fendulus- und Scotus-Handschriften über den Sufi latinus und die Sterntafeln zu Hyginus-, Aratea- und Basinio da Parma-Handschriften sowie den astrologischen Büchern des 15. Jahrhunderts. Weiterführende Literatur wird im einführenden Text nicht überbordend zitiert, wodurch sich der Text flüssig und angenehm liest. Blume geht auf die speziellen Interessen der Auftraggeber und der Leser der behandelten Handschriften sowie die Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte der Objekte ein. Im Katalogteil werden die Handschriften kommentiert und die komplexen Text-Bild-Beziehungen analysiert, außerdem wird Wert darauf gelegt, die einzelnen Codices als Ganzes in einen konkreten Entstehungskontext einzuordnen. Größten Zugewinn erfährt der Leser durch den umfangreichen Bildband mit über 130 Farbaufnahmen und über 1250 Abbildungen in Schwarz-Weiß. Bis auf einige wenige Ausnahmen sind die Abbildungen von sehr guter Bildqualität, die Ausnahmen sind offensichtlich der schlechten Auflösung der Vorlage geschuldet.

 

         Das 2016 veröffentlichte Werk ist zwar eine nahtlose Fortsetzung des ersten Teils, welcher Sternbilder bis 1200 behandelt, weicht jedoch in der Organisation des Katalogteils und des Abbildungsbandes von jenem ab: Die Handschriften sind nun nicht mehr alphabetisch nach den heutigen Aufbewahrungsorten gegliedert, sondern nach den verschiedenen Textgruppen, welche sie beinhalten. Handschriften, die durch ihre inhaltliche Gewichtung und ihre Überlieferungsgeschichte mit einander verbunden sind, sind im Katalog und im Abbildungsteil damit sinnvoll gemeinsam angeordnet. „Jede Handschrift ist […] Teil eines imaginären Netzes, das sie mit anderen Manuskripten verbindet, auf die sie sich bezieht oder von denen sie sich bewusst absetzt. So entsteht eine Art Dialog, ein Diskurs über Zeiten und Orte hinweg, der in den Büchern sichtbar bleibt,“ heißt es im Vorwort.

 

         Einer der bedeutendsten mittelalterlichen Texte zur Himmelskunde ist zweifelsohne der „Liber introductorius“ des Michael Scotus, dessen älteste erhalten Abschrift aus den 1320er Jahren aus Padua stammt und sich heute in München befindet.[1] Entstanden am süditalienischen Hof Friedrichs II., stellt der Text des Michael Scotus eine praxisorientierte Einführung in die Astrologie für das höfische Laienpublikum des 13. Jahrhunderts dar. Der Erfolg erklärt sich aus der leichten Verständlichkeit des Liber introductorius, welcher jedem Sternbild eine astrologische Bedeutung zuweist und den Sternenhimmel für das mittelalterliche Publikum vollkommen plausibel erklärt. Die Publikation zeigt die Vorlagen Scotus‘ auf, welcher sich bei seiner Beschreibung der Sternbilder an Bildquellen, insbesondere an einer illustrierten Germanicus-Handschrift[2], inspirierte.

 

         Die Publikation konzentriert sich auf den europäischen Kulturkreis, schließt aber die europäische Rezeption wichtiger arabischer Texte wie des persischen Fixsternbuchs Abd al-Rahman al-Sufis (903-986) selbstverständlich mit ein. So entstand Ende des 12. Jahrhunderts im Umfeld des normannischen Königshofes in Palermo eine wahrscheinlich illustrierte lateinische Fassung des Fixsternbuches, der sogenannte „Sufi latinus“, die uns durch eine um 1250 in Bologna entstanden Handschrift überliefert ist. Jene behielt bei der Darstellung der 48 ptolemäischen Sternbilder die Formensprache seiner Vorlage bei: „Geradezu bildgläubig übernahm man die arabische Gestalt der Himmelswesen in Kostüm und Haltung sowie in dem phantastischen Aussehen der Tiere“ (S. 61). Die Beständigkeit, mit der die Bilder des Sufi latinus in den unterschiedlichen Wissenskulturen des Mittelalters rezipiert wurden, zeigt laut Blume, dass die faszinierend fremdartigen Bilder al-Sufis, nicht die Texte die eigentlichen Konstanten der Überlieferung darstellen.

 

         Die Untersuchung macht immer wieder deutlich, welchen Stellenwert die Bilder in der Sternenkunde einnehmen. Die gemalten Konstellationen sind über Jahrhunderte unentbehrliche Werkzeuge der Astronomen und Astrologen. Auf der Grundlage des antiken Wissens und der Kenntnisse des arabischen Kulturkreises sucht man im Europa des Mittelalters und der Renaissance nach den „richtigen, maßgeblichen Bildern“ (S. 13) des Sternenhimmels. Dies geschieht im 13. Jahrhundert am kastilischen Königshof des Alfonso el Sabio ebenso wie im Florenz des 14. Jahrhunderts, wo die antike Himmelsbeschreibung des Hyginus durch den Humanisten Coluccio Salutati neue Beachtung erfuhr. Die von Salutati in den 1370er Jahren in Florenz in Auftrag gegebene Abschrift von „De Astronomia“ (heute in Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 3110) greift nicht etwa auf die Hyginus-Illustrationen des 12. Jahrhunderts[3] zurück, sondern stellt eine vollständige Neukonzeption der illustrierenden Bilderreihe dar. Im höfischen Ambiente wird diese Bilderfolge im Stil der Internationalen Gotik nach der Jahrhundertwende zahlreich rezipiert, bevor von der Universitätsstadt Padua ausgehend gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Oberitalien eine zunehmend antikisierende Formensprache der Hyginus-Illustrationen zu beobachten ist.

 

         Schon im Lauf des 14. Jahrhunderts und vor allem im 15. Jahrhundert setzt ein vermehrtes Interesse am antiken Mythos ein, für das der Fund einer hochmittelalterlichen, jedoch für antik gehaltenen Handschrift der „Aratea“ des Germanicus aufschlussreich ist. Die Handschrift wird um 1466 von Sizilien nach Neapel gebracht und dort sofort mit großem Aufwand kopiert. Diese Kopien stellen einen interessanten Fall der Rezeptionsgeschichte dar, insofern sie unmotivierte Textlücken aufweisen, welche die Authentizität der Abschriften geltend machen sollen: „Das kostbare, für antik gehaltene Buch sollte offenbar so, wie es war, reproduziert werden, ohne jede fremden Ergänzungen. Es sollte auch in den Kopien ein Dokument der alten Zeit bleiben, dessen Authentizität man schätzte und bewahren wollte“ (S. 115). Auch in Florenz werden Abschriften des sizilianischen Germanicus angefertigt, jedoch werden die Bilder hier frei, ´all’antica´ rezipiert. Überzeugend weist Blume auf die unterschiedlichen Strategien der Antikenrezeption hin, wie sie sich an den zeitgleich entstandenen Hyginus-Handschriften in Padua sowie der Germanicus-Kopien in Neapel und Florenz beobachten lassen, wo die jeweils eigene intellektuelle Kultur zu unterschiedlichen Ergebnissen im Umgang mit der Antike führen.

 

         Nördlich der Alpen findet im 15. Jahrhundert die Himmelsbeschreibung des Michael Scotus Eingang in die populären kalendarischen Hausbücher des deutschsprachigen Raums. Die von Erhard Radolt 1482 in Venedig erschienene Hyginus-Ausgabe mit Holzschnitten der Bildfolge Scotus‘ ist die erste astronomische Himmelsbeschreibung im Druck und kommt wenige Jahre später in Augsburg in einer deutschen Bearbeitung heraus. Kopien der Radoltschen Holzschnitte finden sich im ganzen 16. Jahrhundert: „Die normierende Kraft des neuen Mediums, die zu einer ungeheuren Vereinheitlichung der Bildüberlieferung führt, könnte deutlicher nicht veranschaulicht werden“ (S. 133).

 

         Die zusammenfassende Auswertung der Sternbilderdarstellung über drei Jahrhunderte gibt eine hervorragende Einführung in das Thema und liest sich als Fortsetzung des ersten Teils des Corpus der Sternbilder des 9. bis 12. Jahrhunderts. Grundsätzlich wird im zweiten Teilband jedoch einiges aus diesem ersten Teil vorausgesetzt. So kommt der Abschnitt über die deutschen Hyginus-Derivate (S. 79-80) etwas unvermittelt vor dem detaillierten Kapitel über die Hyginus-Rezeption ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und es fehlt ein expliziter Hinweis auf den ausführlichen Beitrag im ersten Teil des Corpus. In Anbetracht der enormen Textfülle des Werkes sieht man außerdem über einige wenige redaktionelle Unstimmigkeiten hinweg. Der Handschriftenkatalog des Autorenteams stellt gemeinsam mit dem hochwertigen Abbildungsband den Ausgangspunkt für zukünftige Forschungen zum Thema der Sternbilder in Mittelalter und Renaissance dar.

 

 

 


[1] Katalognr. 8, S. 186-191, Bayerische Staatsbibliothek, ms. clm 10268, zunächst bearbeitet von Ulrike Bauer-Eberhardt in ihrer Dissertation von 1981, Der Liber introductorius des Michael Scotus in der Abschrift Clm 10268 der Bayrischen Staatsbibliothek München: ein illustrierter astronomisch-astrologischer Codex aus Padua, 14. Jahrhundert.  München 1983

[2] Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 19, ausführlich beschrieben in Dieter Blume/Mechthild Haffner/Wolfgang Metzger, Sternbilder des Mittelalters. Der gemalte Himmel zwischen Wissenschaft und Phantasie 800-1200,  Berlin 2012, Katalognr. 32, S. 346-353.

[3] Zu den Handschriften des 12. Jahrhunderts vgl. Blume/Haffner/Metzger, Sternbilder I, 2012, S. 119-127.

 

 

 

Inhaltsverzeichnis 

 
  1. Das Wechselspiel von Astronomie, Astrologie und Mythologie – Zur Einführung 11
  2. Georgius Zothoros Zaparus Fendulus –
    Eine astrologische Synopse 17
  3. Michael Scotus – Neuanfang im Zeichen der Astrologie 23
    1. Der Liber introductorius 
    2. Der Liber de signis et imaginibus celi 
    3. Die einzelnen Sternbilder
    4. Die Planeten 
    5. Der Liber de signis im 13. Jahrhundert 
    6. Die Illustrationen des 14. Jahrhunderts 
    7. Überlieferungszweige und Filiationen von Bild und Text 
  4. Die Sternbilder al-Sufis und ihre Betrachter
    im lateinischen Westen 55
  5. Die Astronomie der Sterntafeln oder
    die Unverzichtbarkeit der Bilder 67
    1. Alfonso el Sabio und die Wissenskultur des kastilischen Königshofes 
    2. Die alfonsinischen Tafeln und eine neue Bilderreihe aus Paris 
    3. Deutsche Hyginus-Derivate
    4. Fixsterntabellen und die Anf änge einer Kartographie des Sternenhimmels

VI. Zwischen Himmelskunde und Humanismus – Hyginus-Lektüren im Italien des 14. und 15. Jahrhunderts 87

  1. Coluccio Salutati und ein zeitgemäßer Bildzyklus
  2. Humanisten in Oberitalien
  3. Basinio da Parma in Rimini    

VII. Der antike Mythos oder die Wiederentdeckung der Aratea 103

  1. Nikephoros Gregoras und die griechische Tradition in Konstantinopel
  2. Nicholas Trevet und Seneca
  3. Coluccio Salutati und Hyginus
  4. Cyriacus d’Ancona und die Sternsagen
  5. Germancius in Neapel und Florenz

VIII. Astrologische Bücher im 15. Jahrhundert 123

  1. Michael Scotus in Deutschland
  2. Erhard Ratdolt und die Bilder des Michael Scotus
  3. Eine astrologische Kosmosbeschreibung von Ludovicus de Angulo

IX. Das Überleben der Bilder 137

X. Katalog der Handschriften
mit Sternbilderdarstellungen 1200–1500 145

  1. Fendulus-Handschriften
  2. Scotus-Handschriften
  3. Sufi latinus
  4. Sterntafeln
  5. Hyginus-Handschriften
  6. Basinio da Parma-Handschriften
  7. Aratea-Handschriften
  8. Astrologische Bücher des 15. Jahrhunderts
  9. Ludovico de Angulo-Handschriften
  10. Himmelsglobus in Kues
  11. Florenz, San Lorenzo, Alte Sakristei

XI. Anhang

Verzeichnis der Handschriften Literaturverzeichnis
Register