Todisco, Luigi : Prassitele di Atene. Scultore e bronzista del IV secolo, (Maestri dell´arte classica, 6), pp. 148 di testo, Tavv. 26, cm 14,5 x 21, ISBN: 978-88-7689-301-8, 38,25 €
(Giorgio Bretschneider, Rome 2017)
 
Reseña de Erwin Pochmarski, Universität Graz
 
Número de palabras : 2225 palabras
Publicado en línea el 2017-11-17
Citación: Reseñas HISTARA. Enlace: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=3060
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            Bei der vorliegenden Publikation von L. Todisco, der durch mehrere Arbeiten zur griechischen Plastik des 4. Jhs. v. Chr.[1] hervorgetreten ist, handelt es sich um einen Band der vom Autor herausgegebenen Reihe "Maestri dell'arte classica", in der bereits eine Reihe von kurzen Monographien zu griechischen Künstlern erschienen ist[2].

   

           In der Einleitung (S. XI-XII) befasst sich der Verf. mit den methodischen Grundlagen seiner Untersuchung, wobei es um die aufgrund ihrer thematischen, ikonographischen und stilistischen Besonderheiten Praxiteles zugeschriebenen Marmor- und Bronzewerke geht. Wie bei den meisten griechischen Bildhauern ist auch für die künstlerische Produktion des Praxiteles das weitgehende Fehlen von Originalen charakteristisch, so man für deren Rekonstruktion auf römerzeitliche Skulpturen angewiesen ist. Einen besonderen Anteil an der Arbeit haben die epigraphischen und die literarischen Zeugnisse (V: 51-112), wobei sich der Autor bei den Inschriften auf solche aus dem 4. Jh. v. Chr. beschränkt (TE 1-5), welche sich mit Praxiteles I verbinden lassen und nicht auf einen der namensgleichen Künstler aus dem Hellenismus und der frühen Kaiserzeit (Praxiteles II - Praxiteles V) zurückzuführen sind. Ungleich reicher ist die Sammlung an literarischen Quellen (TL 1-102), bei denen die Auswahl in Bezug auf den Praxiteles des 4. Jhs. v. Chr. (Praxiteles I) nicht immer sicher ist. Die literarischen Zeugnisse wurden vom Verf. nach den Ausgaben von A. Corso und dessen italienischer Übersetzung ausgewählt[3].

   

           Im ersten Kapitel befasst sich der Autor mit der Biographie des Praxiteles I ( I, 1-5), wobei er zu Recht darauf verweist, dass der Name nicht nur in Athen geläufig war und sich durch insgesamt mehr als 60 Inschriften aus der Zeit von 500 v. Chr. bis in die fortgeschrittene Kaiserzeit nachweisen lässt. Auszugehen sei von der von Plinius d. Ä. (34, 50: TL 1) für Eupranor und Praxiteles als Blüte angegebenen 104. Olympiade (364-361 v. Chr.). Die Lebenszeit des Praxiteles möchte T. mit den Jahren 395-325 v. Chr. festlegen. Nach den Quellen sei Praxiteles ein Angehöriger des Mittelstandes gewesen, der zwischen den letzten Jahrzehnten des 5. und den ersten des 4. Jhs. v. Chr. in Athen eine beherrschende Rolle in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht spielte, wobei der Wiederaufstieg Athens wohl mit der Gründung des 2. Attischen Seebundes 377 v. Chr. zusammenhängt.

   

           Im zweiten Abschnitt der Arbeit (II, 7-14) geht es um die Werke des Praxiteles, wobei die Inschriften (TE 1-5) nichts für das Aussehen der Statuen hergeben, bei denen es sich aber wahrscheinlich um Bronzewerke gehandelt hat. In der Folge bezieht der Autor in knapper Form zu den Werken Stellung, die Praxiteles von den literarischen Quellen zugeschrieben werde (TL 1-102). Etwas irritierend ist die Feststellung, dass keine Originale erhalten seien, die auf Praxiteles zurückgingen. Im Unterschied zum Autor ist die Forschung heute weitgehend der Meinung, dass es sich beim Hermes von Olympia um ein Original handle. Weniger sicher erscheint dies für die von T. als mögliche Originale angesprochenen Werke, wie den Kopf Aberdeen (O 1), der von ihm vor allem aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Hermes von Olympia Praxiteles zugeschrieben wird, beim Kopf Despinis[4] von der Athener Akropolis (O 2), dessen Erhaltung für eine sichere Zuweisung einfach zu schlecht ist, und die Reliefs von Mantinea (O 3), die als Basisreliefs von einer Statuengruppe wohl eher der Werkstatt des Praxiteles angehören dürften. Das Verständnis für das Werk des Praxiteles beruht daher in erster Linie auf der Überlieferung der römischen Kopien, wobei die Chronologie der Werke allerdings unsicher bleibt.

   

           Etwas ausführlicher setzt sich T. im 3. Kapitel (III, 15-39) mit den Praxiteles zugeschriebenen Originalen und Kopien auseinander. Vom Kopf Aberdeen (O 1) war bereits kurz die Rede. Er stehe dem Hermes von Olympia, der vom Autor allerdings als Kopie eingestuft wird, durch Ikonographie und Stil sehr nahe. Die Behandlung sei trocken, ohne das Sfumato der Kompositionen der hellenistischen Zeit; die Frisur zeige kurze, voluminöse, bewegte Locken, der Blick sei tief und ruhig; dazu fehle die knochige Robustheit der jungen Athleten der Polykletschule und der ungestüme Ausdruck skopasischer Figuren: hier wie auch an anderen Stellen neigt der Autor zu einer sehr blumigen Ausdrucksweise. Schwer ist auch die Einordnung des Kopfes Despinis (O 2) als großer weiblicher Kopf, der mit der Artemis Brauronia aus dem Heiligtum der Göttin auf der Akropolis zu verbinden sei (vgl. Pausanias 1, 23, 7: TL 8). Die auch vom Verf. genannten Beschädigungen an Stirn, Augen, Nase, Mund und Kinn sind doch sehr erheblich. T. meint dennoch, den feierlichen Blick der Göttin zu erkennen. Es stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt um einen weiblichen Kopf handelt, denn die vom Autor konstatierten langen Haare existieren nicht; es handelt sich in Wirklichkeit um kurze Haare. Zu den Reliefs von Mantinea (O 3) hat T. hinsichtlich der drei erhaltenen Platten zu Recht festgestellt, dass wegen der neuen Musen eher mit ursprünglich vier als nur mit drei Platten gerechnet werden müsse. Die auf Pausanias (8, 29, 2-3: TL 65) fußende Zuweisung an Praxiteles bleibt ungewiss, denn dort handelt es sich um eine Statuengruppe von Hera, Athena und Hebe, während angesichts des Themas der Basisreliefs wohl eher eine Gruppe von Leto, Apollon und Artemis zu erwarten wäre, von der allerdings bei Pausanias nichts gesagt wird.

   

           Unter den Praxiteles mit großer Sicherheit zugeschriebenen Kopien ist der Einschenkende Satyr, den T. mit dem Periboetos von Praxiteles gleichsetzen möchte, mit einiger Sicherheit in die Jugend des Künstlers um 370 v. Chr. zu datieren. Der Verf. möchte den Satyr auf die von Plinius (34, 69-71, TL 71) genannte Gruppe eines Satyr Periboetos mit Methe beziehen, wobei er Recht hat, dass eine Zweiergruppe mit Methe eher beim Einschenkenden Satyr als beim sonst gerne als Periboetos angesehenen Ausruhenden Satyr vorstellbar ist. In diesem Zusammenhang bleibt allerdings die Rekonstruktion einer Gruppe des Einschenkenden Satyrs mit Dionysos auf Taf. 8 rätselhaft. Die für den Einschenkenden Satyr charakteristische transitorische Bewegung erinnere einerseits an Polyklet und seine Schule, andererseits sei die Komposition aus der Eirene und dem Hermes mit dem Dionysoskind von Kephisodot dem Älteren (Kephisodot I) weiterentwickelt.

   

           Eine besondere Rolle im Werk des Praxiteles und in der Forschung spielt die Kndische Aphrodite, die von den römischen Autoren als das schönste Werk des Praxiteles angesehen wird. Nach T. sei eine direkte Verbindung der Skulptur mit der Akmé des Künstlers herzustellen: allerdings meint er, dass für Praxiteles ein Lebensalter von 30-40 Jahren anzunehmen sei, was mit dem Datum 364-361 v. Chr. nicht zusammenstimmt. Ihre Berühmtheit verdankt die Knidia vor allem der völligen Nacktheit der Statue; die Figur ist daher kaum mit dem Kultbild der Aphrodite Euploia in Knidos zu verbinden, sondern stellt wohl eine Weihestatue dar. Umstritten ist m. E. die Deutung des Motivs der Aphrodite: nach T. hebt Aphrodite den Peplos von der Hydria, worauf sie ihn abgelegt hat, auf; eher dürfte aber gemeint sein, dass sie den Peplos eben abgelegt hat, um zu baden. Den Repliken und Varianten der Knidia ist die Betonung einer gewissen Sinnlichkeit gemeinsam, wobei man dem Autor nicht zustimmen wird können, der ein Gesicht "di piena voluttà" erkennen möchte. Richtig beobachtet ist hingegen, dass sich der Körper der Aphrodite ganz in der Fläche entfaltet, wobei die Hydria ein wichtiges kompositionelles Element darstellt. Die Epiphanie der Aphrodie in völliger Nacktheit sei ein einmaliger Augenblick, sie stelle mit ihrer absoluten Schönheit die Personifikation der Liebe dar.

   

           Das Original des Apollon Sauroktonos war nach Plinius (34, 69-71, TL 71) in Bronze ausgeführt. Praxiteles habe nach T. für Apollon eine knabenhafte Figur noch vor der Geschlechtsreife (?) gewählt, die sich durch lange Locken (?) und einen Nackenknoten auszeichne, der traditionell zur weiblichen Frisur gehöre. Schwieriger wird es, wenn der Autor schreibt, dass das Gesicht dieselbe süße Wollust wie die Knidierin vermittle ("I nobili tratti del volto trasmettono la stessa dolce voluttà della Cnidia", 28). Der Blick folge nicht der Aktion, sondern sei sehnsüchtig vertieft wie in einem Liebesspiel: hier wird man einwenden müssen, dass der Blick des Jünglings sehr wohl der Eidechse folgt. Nach T. wollte Praxiteles die Statue des Sauroktonos mit derselben erotischen Intensität beladen wie die Aphrodite; es handle sich um eine Hommage an die Knaben und die Knabenliebe (28). Richtig ist wiederum die Komposition der Statue gesehen: es handle sich um das Schema der angelehnten Figur, welche die Stütze brauche, um aufrecht zu bleiben.

   

           Es fällt schwer, dem Autor zu folgen, wenn er den Hermes von Olympia als nicht von der Hand des Praxiteles stammend bezeichnet und sogar meint, den Hermes aus dem Werk des Praxiteles auszuscheiden sei ein gleich großer Irrtum wie diesen für ein Original der Klassik zu halten (31). Die von T. angeführten Argumente sind altbekannt: die Aufstellung der Statuengruppe in einer Nische des Heratempels von Olympia und die nicht vollständig ausgearbeitete Rückseite, obwohl gerade die Nennung des Werkes bei Pausanias (5, 17, 3: TL 66) als Weihung im Heratempel für die nicht vollendete Rückseite spricht. Weiters werden von T. die Typologie der Sandalen und die Dreidimensionalität des Gewandes sowie die Baumstütze genannt. Die Gruppe zeige in ihrem Aufbau eine eindeutige Frontalität; die Statue in Olympia sei gekennzeichnet durch malerische Effekte der Oberfläche und den Gegensatz zwischen Nacktheit und Gewand. Wieder findet sich der Topos, dass der Blick des Hermes im Leeren verloren sei, obwohl dieser eindeutig auf das Dionysoskind schaut.

   

           Durch eine große Anzahl von Kopien ist der Ausruhende Satyr überliefert, den T. mit dem Satyr von der Tripodenstraße verbinden möchte, welcher bei Athenaios (13, 590f-591c: TL 24) und bei Pausanias (1, 20, 2: TL 45) überliefert ist. T. möchte in der ursprünglich in einem choregischen Naiskos aufgestellten Statue eine enge Verbindung zur athenischen Realität erkennen, insbesondere zu dem von Lykurg für das Theaterleben erteilten Impuls. Der Satyr trägt ein Haarband, unter dem (und nicht über dem, wie T. schreibt, 37) füllige Locken zu erkennen sind. Die Komposition ist, wie T. richtig schreibt, auf eine klare Frontalität berechnet; eine wichtige Rolle spielen die Kontraste zwischen der Nacktheit, den Haaren und der Pardalis (bei T. ist irrtümlich von einer Nebris die Rede, 38). Die Stütze ist erneut ein unabdingbares Element der Komposition und Bedingung für die Virtuosität der aus dem Gleichgewicht gebrachten und zur Seite gelehnten Figur. Die Haltung der Figur entspreche der entspannten Anmut nach dem Agon, wobei nicht klar ist, was damit gemeint ist.

   

           Im 4. Kapitel zum Stil des Praxiteles (IV, 41-49) fasst der Autor nochmals die Ergebnisse seiner Arbeit zusammen. Praxiteles sei der erste große Bildhauer und Bronzegießer, der ganz dem 4. Jh. v. Chr. angehöre. Die von ihm vor allem in der Knidia verwirklichte Darstellung des Göttlichen sei die größte Wende in der antiken Kunstgeschichte nach Phidias. Für den Aufbau des menschlichen Körpers fuße Praxiteles auf dem Vorbild des Polyklet. Entscheidend neu seien die Sinnlichkeit in der Behandlung der Gesichter (sensualità dei tratti dei volti), die erotische Ausstrahlung des Nackten, die Aufwertung der weiblichen Nacktheit und die Verwendung von Farbe (44). Im Vergleich zu den Erfahrungen der Schule Polyklets stellten der erhobene Arm und die seitliche Stütze im Aufbau der Figuren wichtige neue Elemente dar. Der Ausdruck der Anmut (Charis) sei eine immer wiederkehrende Komponente in der Kunsttheorie des Praxiteles bei der Darstellung des Göttlichen. Von einigem Interesse ist die Beobachtung des Verf., dass die praxitelische Interpretation göttlicher Figuren wie der Aphrodite von Knidos in Zusammenhang mit dem Diskurs der philosophischen Schulen der Sophisten und Platons im Athen des 4. Jhs. v. Chr. stehe.

   

           Das 5. und letzte Kapitel (V, 51-112) behandelt - wie bereits ausgeführt - die epigraphischen und literarischen Zeugnisse zu Praxiteles und ist vor allem durch die Sammlung der Schriftquellen (TL 1-102) von größerem praktischen Wert.

   

           Die Arbeit wird abgerundet durch die Anmerkungen (113-123) und zwei Bibliographien, die eine allgemeinerer Art (125-129) und die andere zu den im Text zitierten Werken (131-140), Indices zu den Quellen (141-142), zu den antiken Namen (143-146), zu den Orten (147-148) und schließlich durch 26 Tafeln mit durchwegs sehr qualitätsvollen Schwarz-Weiß-Abbildungen.

   

           Die Arbeit von Todisco kann als eine sehr nützliche, kurze Monographie zu Praxiteles angesehen werden, auch wenn dessen Sprache bisweilen einen recht emphatischen Charakter hat.

 


[1]   z. B.: L. Todisco, Scultura greca del IV secolo. Maestri e scuole di statuaria tra classicità ed ellenismo. (Milano 1993) (Repertori fotografici Longanesi, 8); Relazioni iconografiche tra scultura e ceramica figurata. L'esempio tarantino, RdA 39, 2015 (2016) 29-42;

[2]   z. B. G. Calcani, Skopas di Paros (Rom 2009); G. Roscino, Polignoto di Taso (Rom 2010); J. T. García, Pausias de Sición (Rom 2015); A, Sassù, Iktinos. L'architetto del Partenone (Rom 2016).

[3]   A. Corso, Prassitele: Fonti epigrafiche e letterarie, Vita e opere I (Roma 1988) (Xenia. Quaderni, 10); Prassitele. Fonti epigrafiche e letterarie. Vita e opere, II. Fonti letterarie tardoantiche, ca. 175 - 470 d.C. (Roma 1990) (Xenia. Quaderni, 10); Prassitele. Fonti epigrafiche e letterarie. Vita e opere, III. Fonti letterarie bizantine, circa 470 - XIII secolo (Roma 1992) (Xenia. Quaderni, 10).

[4]   Vgl. G. Despinis, Neues zu einem alten Funde, A M 109, 1994, 173-198; N. Kaltsas - G. Despinis, Praxiteles (Athen 2007); G. Despinis, Áρτεμις Bραυρωνία λατρευτικά άγαλματα και αναθήματα από τα ιερά της θεάς στή Bραυρώνα και την Aκρόπoλη της Aθήνας, (Bιβλιoθήκη της εν Aθήναις Aρχαιoλoγικής Eταιρείας, 268 (Athen 2010).