Vitale, Marco : Das Imperium in Wort und Bild (Historia – Einzelschriften, 246), 374 S., 185 s/w Abb., ISBN : 978-3-515-11554-4, 68 €
(Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017)
 
Compte rendu par Ulrich Lambrecht, Universität Koblenz-Landau
 
Nombre de mots : 1900 mots
Publié en ligne le 2021-03-23
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
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          Der Darstellung des Verhältnisses zwischen der römischen Reichszentrale und den Untertanengebieten kann anhand erzählender Quellen nur unzureichend auf den Grund gegangen werden, gerade wenn es darum geht, daran aus althistorischer Sicht Elemente der Repräsentation von Herrschaft aufzuzeigen. Quantitativ und wohl auch qualitativ wichtiger für die mit der Darstellung von Rom beherrschter Gebiete verbundenen Fragen sind daher Bildquellen, wie zum Beispiel Reliefs und andere Monumente, Inschriften sowie Münzen, vor allem Reichsprägungen, einschließlich ihrer Legenden. Anschauungsmaterial für diesen Zweck bieten aber auch Textquellen wie Tatenberichte, Verwaltungsschrifttum oder geographisch-beschreibende Literatur und andere literarische Quellen, in denen auf bildliche Repräsentation von Herrschaft eingegangen wird, etwa durch die Beschreibung von Triumphzügen.

 

         Der Zürcher Althistoriker Marco Vitale hat es bei seinem Thema daher mit in der Antike sehr disparat behandelten und viele verschiedene Ebenen tangierenden Phänomenen zu tun, und dieser Umstand spiegelt sich in der Gliederung und dem Inhalt seines Werkes deutlich wider. So äußert er gegenüber einer rein katalogisierenden Behandlung von Darstellungen geographischer Personifikationen Skepsis, weil sie dazu neige, den Faktor zeitabhängiger Veränderungen ebenso wie regional bedingter Besonderheiten zu unterschätzen, mithin stilistisch-typisierend nach kunsthistorisch-archäologischen Kriterien urteile und daher unter Vernachlässigung relevanter Entstehungs- und Darstellungskontexte zugleich wesentliche historische Gesichtspunkte außer Acht lasse. Bedenken dieser Art spielen in Anbetracht neuer, historisch relevante Dimensionen von vornherein einschließender Forschungsansätze, die sich gerade auch der Untersuchung von Sachquellen öffnen, keine große Rolle mehr, etwa wenn Fragen nach der Veranschaulichung des geographischen Raumes, der Präsentation von Sieghaftigkeit und der Identitätsstiftung in den Mittelpunkt gerückt werden. Doch auch von diesen Themen unterscheidet Vitale seinen Forschungsansatz, indem er „Reichsdarstellungen […] als ‚Inszenierung‘ aller durch Siege erworbener Besitztümer“ und „die Grundfragen, welche Beherrschten überhaupt und in welcher Form, Zusammensetzung und Anordnung wiedergegeben wurden“ (S. 31), in den Vordergrund stellt. So interessiert ihn beispielsweise die ungelöste Frage, ob sich an der Art und Weise von Personendarstellungen der Status Unterworfener ablesen lässt (vgl. S. 27). Damit setzt sich Vitale deutlich von einer „ikonographischen vergleichenden Deutung“ (S. 47) ab und betont die Notwendigkeit der Kontextualisierung der einschlägigen Quellen für die Sicherstellung ihrer problemorientierten und historisierenden Interpretation. Diese erfasst er in einem kontextorientierten Analyseraster, welches den bildlichen bzw. baulichen Zusammenhang, ferner den historisch-politischen, also anlassbedingten Kontext, sodann den historisch-intermedialen, Bild-Text-Bezüge klarstellenden Kontext und schließlich den topisch-diachronen, die Wiederverwendung von Darstellungen betreffenden Zusammenhang anspricht. Mit Hilfe dieses mutmaßlich alle denkbaren Aspekte historisch relevanter Auswertung berücksichtigenden Rasters will er für den Zeitraum vom dritten/zweiten Jahrhundert v. Chr. bis zum vierten Jahrhundert n. Chr. untersuchen, „wie die Römer die von ihnen eroberten und beherrschten Teile des ‚Reiches‘ begriffen, darstellten und dargestellt sehen wollten“ (S. 43).

 

         Nachdem Vitale die wesentlichen Gedanken zu Fragestellung, Quellen, Forschungsstand und Methode in der Einleitung (S. 13–48) dargelegt hat, untersucht er in einem zweiten, umfangreichen Kapitel an „Quellen römischer Reichsdarstellungen“ (S. 49–181) die textliche oder bildliche „Darstellungslogik“ der Unterworfenen. Damit werden Wege zur Lösung des Problems eingeschlagen, inwiefern ethnologische oder verwaltungstechnische Aspekte die Behandlung beherrschter Regionen bestimmten, mit anderen Worten: Es wird die Erkennbarkeit bloßer Unterwerfung oder aber politisch-rechtlicher Einbeziehung ins römische Reich diskutiert. Diese Fragestellung verfolgt Vitale an den diversen Quellen in exemplarischer Weise und chronologischer Folge, um zugleich auch zeitverlaufsbedingten Veränderungen und damit der Historizität der von ihm untersuchten Phänomene gerecht werden zu können. So spannt Vitale den Bogen vom zweiten Punischen Krieg über die späte Republik und die im Sinne seiner Fragestellung ergiebige, für die Kaiserzeit grundlegende julisch-claudische Dynastie bis zu Vertretern des konstantinischen Hauses. Zugleich werden im passenden chronologischen Zusammenhang Sachgesichtspunkte abgearbeitet, wie zum Beispiel das viele Unterkapitel durchziehende Problem der Provinzpersonifikationen und die juristisch-verwaltungstechnische Bezeichnung territorialer Zugewinne Roms. Immer wieder betrachtet Vitale auf diese Weise zeitbedingte Phänomene auch unter systematischen Aspekten und durchbricht für Vergleichszwecke die rein chronologische Anordnung. Diese Vorgehensweise bringt für die von ihm formulierten Erkenntnisse nicht unerheblichen Gewinn. So kann er nämlich – nicht zuletzt mit Hilfe seines breit angelegten Untersuchungsansatzes – häufig neue oder neu akzentuierte Ergebnisse formulieren und bisherige Forschungen korrigieren, die in der Regel vom Ansatz und von der Fragestellung her an Einzelheiten orientiert sind und daher mit einer schmaleren Quellenbasis als Vitale arbeiten.

 

         Auf diese Weise ist es Vitale nämlich möglich, erkennbar mehr Klarheit in die Gründe für die Verwendung ethnisch-geographisch konnotierter Personenabbildungen zu bringen, und zwar für Völkernamen und für Gebietsbezeichnungen: „Der sprachliche Unterschied markiert nicht zwingendermaßen verschiedene Gemeinwesen […]. Die unterschiedliche Bezeichnungsweise der Personendarstellungen nach Ethnika oder Toponymen muss folglich dieselben Ereignisse unter verschiedenen Aspekten bzw. aus verschiedenen Perspektiven ausgedrückt haben“ (S. 60; vgl. ferner S. 94 und S. 96). Die Verwendung von Ethnika ordnet Vitale daher der militärischen Unterwerfung zu, nicht jedoch der Angehörigkeit zum römischen Provinzialverband, während für die Eingliederung in den römischen Herrschaftsverband als Provinz oder Klientelfürstentum Toponyme Verwendung fänden. Bildlich seien bei Toponymen aufrecht stehende Personifikationen die Regel, bei Ethnika gefesselt kauernde Kriegsgefangene. Mit Hilfe dieser auf breitestmöglicher Untersuchungsbasis gewonnener Erkenntnisse kann Vitale wohlbegründet zum Beispiel gegen Géza Alföldy Stellung nehmen, der die von Velleius Paterculus erwähnten, auf dem Augustus-Forum inschriftlich genannten und vom Princeps unterworfenen Hispanias (Vell. 2,39,2) nicht als tituli gentium, sondern als Provinzen versteht[1]. Neben den von Rom abhängigen Völkerschaften konnten ebenso auch unabhängige als ethne bzw. gentes bezeichnet werden.[2] Auf Grundlagen wie diesen kann Vitale sodann sehr überzeugend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Beispiel in den Personifikationen von Provinzen bei Trajan und Hadrian herausarbeiten. Durch ikonographische Vergleiche der GERMANIA SVBACTA-Prägungen Marc Aurels hauptsächlich mit solchen für Parther- und Sarmatensiege plädiert er mit nachvollziehbaren Gründen dafür, die mit dieser Legende kombinierte weibliche Figur nicht im Sinne einer Provinz-Personifikation und damit Provinz-Einrichtung zu deuten (vgl. S. 127–132). Prägungen wie diese illustrierten vielmehr Siege über auswärtige Feinde, ebenso wie die VICTORIA BRITANNICA-Legende aus der Zeit der severischen Kaiser; diese könne daher nicht mit der Personifikation der Provinz Britannia kombiniert sein, so dass für die so gedeutete weibliche Figur auf den Münzreversen eine andere Interpretation, etwa als Kriegsgefangene, gefunden werden müsse. [3]Ein besonders wertvoller Beitrag ist der Schlussabschnitt des zweiten Kapitels über die juristisch-administrative Formulierung territorialer Zugewinne in Form von Ortsverzeichnissen. Vitale sieht wohl zu Recht in Cassius Dios Worten eis ton nomon eisgraphein die griechische Übersetzung der lateinischen Junktur in form(ul)am provinciae redigere. Dabei geht es um die Akzentuierung von nomos, einem Wort, das als nómos (Gesetz) oder als nomós (Wohnsitz, Bezirk, daher auch: Provinz) gelesen werden kann. Angesichts der Tatsache, dass Cassius Dio „eine Standardformulierung der römischen Amtssprache möglichst wortgetreu“ (S. 163) ins Griechische übersetzen wollte, kommt nach Vitale hier nur die Lesung nómos im Sinne eines juristisch verbindlichen Registrierungsaktes in Frage, wie ihn die Kombination mit dem Verb eisgraphein nahelegt. In diesem Abschnitt gelingt es Vitale überzeugend, mit Hilfe umfassender philologischer Argumente gegen vielfach geäußerte anderslautende Meinungen ein wirklich plausibles Lösungskonzept vorzustellen.

 

         Das gegenüber dem zweiten noch umfangreichere dritte Kapitel hat die „Genese und Entwicklung von Provinzpersonifikationen“ (S. 183–334) zum Inhalt; hier ist auch der die Untersuchung zusammenfassende „Schlussbefund“ (S. 324–334) untergebracht. Mit diesem Kapitel greift Vitale einen besonders signifikanten Aspekt der Darstellungsformen beherrschter Gebiete heraus, den er im Großen und Ganzen zusammenhängend über einen langen Zeitraum verfolgen kann. Vitale führt diesen Untersuchungsteil von der ältesten Provinzeinrichtung der Römer, Sizilien, und der Darstellung dieser Provinz bis zur Entwicklung regelrechter Provinzpersonifikationen und Vorstellung ihrer vielfältigen Formen, behandelt ferner die Personifikation Italiens und auch die der Heimatprovinzen diverser Kaiser und schließlich das Verschwinden der Provinzpersonifikationen im vierten Jahrhundert n. Chr. Weitere, den römischen Blickwinkel ergänzende Abschnitte gelten der Sicht der Parther auf die amicitia mit Rom und der Darstellung von Römern als Unterworfenen der Perser.

 

         Auch in diesem Kapitel diskutiert Vitale zahlreiche Befunde und kann weiterführende Ergebnisse formulieren, so für den Gallien repräsentierenden carnyx auf Münzen Caesars und allgemein für den Ersatz von Symbolen, die der Darstellung von Provinzen dienen, durch Personifikationen. Zugleich verbieten sich nach Vitale allzu einfach erscheinende Lösungen, denen zufolge etwa „unmittelbar nach den flavischen Iudaea-Reichsprägungen“ eine Zäsur anzusetzen sei, „wonach auf einmal eigentliche Personifikationen und Darstellungen von Kriegsgefangenen unterscheidbar wurden“ (S. 220). [4]  Für die Zeit ab den severischen Kaisern stellt Vitale fest, dass es in der Reichsprägung keine Personifikationen hinzugewonnener Provinzen mehr gab, wohl aber weiterhin die Darstellung besiegter gentes. Als Neuerung vermerkt er die Repräsentation der Heimatprovinz – nicht der Heimatstadt – bestimmter Kaiser auf Münzen [5], die für einen neuen Stellenwert der Herkunft römischer Senatoren und Kaiser spricht. Ein interessanter Aspekt ist ferner der Ersatz von Personifikationen individueller Provinzen und Regionen durch eine ins Allgemeine gesteigerte kriegerische Sieghaftigkeit. Dieser Gedanke tritt zur Zeit der konstantinischen Dynastie in den Vordergrund; genannt werden vereinheitlichend gentes barbarae allgemein, denen der Kaiser als erfolgreicher debellator oder triumfator gegenübergestellt wird: „Unter den veränderten historischen Rahmenbedingungen machten zivile Konzepte wie Ordnung, Integration, Vertragsverhältnis und Wohltätigkeit wieder der alten Kriegerperspektive sowie neuen asymmetrischen Konzepten Platz“ (S. 257).

 

         Vitale gelingt es angesichts der komplexen und vielfältigen Quellen, die er unter seiner Fragestellung auswertet, erstaunlich gut, eine Anzahl von Wegen einzuschlagen und zu verfolgen, auf denen er die römischen Darstellungsformen besiegter Völkerschaften und beherrschter Gebiete behandelt, ohne sich ins Unverbindlich-Uferlose zu verlieren. Es handelt sich um recht disparate Feststellungen und Befunde, die hinsichtlich der Zielsetzung und formulierten Ergebnisse aber hinreichend gebündelt erscheinen, so dass man sich anhand einer geordneten Interpretation des ausgewählten Quellenmaterials ein konzises Bild verschaffen kann. Vitales wichtigstes Medium zu diesem Zweck dürfte der numismatische Befund darstellen, dem er andere Quellen oft beiordnen kann. Anhand seines weit ausgreifenden Untersuchungsweges ist der Verfasser nicht selten in der Lage, ältere Forschungsergebnisse, die häufig aufgrund einer spezielleren Fragestellung formuliert wurden, zu korrigieren, und zwar oftmals im Grundsätzlichen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur kann Vitale seinen eigenen Ergebnissen Profil verleihen und zum Ausgangspunkt neuer Forschungen werden. Der Schlussbefund veranschaulicht die Ergebnisse zudem in Tabellenform, und auch die den Unterabschnitten der beiden großen Kapitel teilweise beigegebenen Zwischenbefunde erleichtern die Orientierung im Gesamtwerk. Der Anhang bietet neben dem Abbildungsnachweis und Literaturverzeichnis einen Sachindex; leider fehlt ein Quellenregister. Vitales Studie bietet gute Orientierung über die Repräsentationsanliegen bei der Darstellung von Rom beherrschter Gebiete und damit im Interesse weiterer Forschungen einen geeigneten Ausgangspunkt zur Erschließung dieses Themas. [6]

 

 


[1] Vitale S. 82 mit Bezug auf Géza Alföldy, „Zu den Monumenten der römischen Provinzen auf dem Augustusforum,“ in: Hans-Joachim Drexhage/Julia Sünskes (Hrsgg.), Migratio et Commutatio. Studien zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Thomas Pékary zum 60. Geburtstag am 13. September 1989 dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, St. Katharinen 1989, S. 226–234, hier S. 226f.

[2] Vitale S. 96 gegen Davina C. Lopez, „Before Your Very Eyes. Roman Imperial Ideology, Gender Constructs and Paul’s Inter-Nationalism”, in: Todd Penner/Caroline Vander Stichele (Hrsgg.), Mapping Gender in Ancient Religious Discourses, Leiden/Boston 2007 (Biblical Interpretation Series 84), S. 115–162, hier S. 116f.

[3] Vitale S. 136–140 in Auseinandersetzung vor allem mit Jocelyn M. C. Toynbee, „Britannia on Roman Coins of the Second Century A.D.“, in: Journal of Roman Studies 14, 1924, S. 142–157, und der ihr nachfolgenden Forschung.

[4] Vgl. Vitale S. 219f. gegen Nicole Méthy, „La représentation des provinces dans le monnayage romain de l’époque impériale (70–235 après J.-C.)“, in: Numismatica e antichità classiche 21, 1992, S. 267–295, hier S. 271–273.

[5] Vitale S. 246 in Auseinandersetzung mit den bei Achim Lichtenberger, Severus Pius Augustus. Studien zur sakralen Repräsentation und Rezeption der Herrschaft des Septimius Severus und seiner Familie (193–211 n. Chr.), Leiden/Boston 2011 (Impact of Empire 14), S. 121–170, vertretenen Positionen.

[6] Angesichts der des Öfteren vorkommenden willkürlichen Worttrennungen und des störenden, weil orthographisch durchgängig inkonsequenten Umgangs mit den Buchstaben ss und ß hätte der Studie eine sorgsame Schlusskorrektur gutgetan.