Bertrand, Isabelle - Monteil, Martial - Raux, Stéphanie (dir.): Mobiliers et sanctuaires dans les provinces romaines occidentales (fin du Ier s. av. - Ve s. ap. J.-C.). La place des productions manufacturées dans les espaces sacrés et dans les pratiques religieuses. Actes des Rencontres internationales Instrumentum 2015 (coll. Monographie Instrumentum). 588 p., ISBN : 978-2-35518-093-4, 85 €
(Editions Mergoil, Dremil-Lafage 2019)
 
Compte rendu par Kordula Gostenčnik
 
Nombre de mots : 6258 mots
Publié en ligne le 2024-09-13
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
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       Im dritten Dezennium ihres Bestehens blicken die „Rencontres internationales Instrumentum“ bereits auf eine beachtliche Zahl an thematischen Schwerpunkten zurück[1]. Im 64. Band der „Monographies Instrumentum“ folgen die Ergebnisse einer 2015 in Le Mans abgehaltenen Tagung, die sich spezifischen Fragestellungen zur materiellen Kultur im sakralen Kontext widmete. 29 Aufsätze analysieren vom einzelnen Artefakt bis zum geschlossenen Fundkomplex solche Bodenfunde, welche sich einerseits als Zeugnisse der Kultausübung und ritueller Praktiken oder aber einer handwerklichen Produktion innerhalb oder im direkten Umfeld diverser Kultstätten zu erkennen geben.

 

       Thematisch sind die Beiträge in drei Gruppen gegliedert. Ein vorangestellter Überblick von Isabelle Bertrand und Stéphanie Raux zur Forschungsgeschichte (19) macht deutlich, dass sich die überaus umfangreiche Forschungsliteratur bislang hauptsächlich mit der Topographie und der Architektur von Sakralbauten und Kultbezirken, mit der Kultpraxis, den Bildwerken oder den verehrten Gottheiten auseinandergesetzt hat. Dagegen wartet der Großteil des Fundmaterials – mit Ausnahmen wie etwa Waffenhorte oder anatomische Votive – noch auf eine adäquate Auswertung. Eine rigorose Handhabung methodischer Ansätze sowie die genaue Definition, Strukturierung und Gruppierung des Fundmaterials auf Basis des jeweiligen Fundkontexts wird von den Autorinnen als essenzielle Voraussetzung dafür eingefordert, dass in der Fülle an Funden überregionale Parallelen überhaupt erst zweifelsfrei als solche benennbar werden (24, Fundgliederung in Fig. 6a). Als „ … un fonds commun de mobiliers offerts ...“ zeichnen sich neben Keramikfunden jedoch Ringe, Münzen, Fibeln oder ex voto wie die Augenvotive ab (27), wofür der Band eine Vielzahl an Beispielen bereithält.

 

       Die erste Gruppe von Beiträgen beginnt mit Funden im Bereich des Theaters im Sakralbezirk von Mandeure von C. Barbau und S. Blin (37), dessen zentrale Bedeutung bereits Depotfunde aus vorrömischer Zeit hervorheben. In der römischen Kaiserzeit dehnte sich die Anlage auf einer Fläche von 25 Hektar innerhalb einer Umfassungsmauer aus (Fig. 1). Anhand von Grabungsergebnissen in und um Gebäude unmittelbar hinter der Rückmauer der Cavea des Theaters werden zufällige Verluste, willentlich deponierte Artefakte sowie Spuren ritueller Handlungen diskutiert. Insbesondere fällt eine große Zahl an Bauopfern (dépôts de construction) auf. Die Niederlegung dreier neolithischer Steinbeile um einen Teller (48 f., Fig. 4) markiert den Beginn der Errichtung eines Küchenkomplexes in den ersten Dezennien des 1. Jh.; weiters sind zahlreiche kleine Depots (Münzen, Fibeln, Glöckchen, Melonenperlen etc. in diversen Kombinationen) im Zuge des Baufortschritts und späterer Eingriffe feststellbar (47, Fig. 8). Sie reichen bis zur Neugestaltung des Theaters (54, Fig. 12: Gefäßdepot aus dem Fundament der Rückmauer) und der angrenzenden Gebäude im späten 1. bis beginnenden 2. Jh. bzw. setzen sich in dieser Zeit fort.

 

       Der Beitrag von P. Brand et al. (61) ermittelt anhand der Funde aus vier Heiligtümern in der Region von Yverdon deren Kultpraktiken. Im Heiligtum „de l’Ouest“ in der Rue de Midi in Yverdon – mit vier Phasen von 15 v. Chr. bis 60/70 n. Chr. (63, Fig. 2) – ließen sich 22 Asse von Augustus bis Claudius aus dem Umfeld einer kleinen Kapelle sowie vier Fibeln im östlichen Sacellum (65, Fig. 4) als (spontane) Opfergaben erklären, weiters einige Vorratsgefäße als Primärdepots (66). Im kleinen, zu einem Villenkomplex gehörenden Heiligtum von Yvonand-Mordagne – mit drei Phasen von der augusteischen Zeit bis zum Beginn des 2. Jh. – wird anhand zweier Gefäßdepots (67, Fig. 6) aus dem Beginn des 2. Jh. die rituelle Deponierung als einmalige Kulthandlung im Gegensatz zum Vergraben von unbrauchbar gewordenen Ausstattungen erörtert. Die Fundverteilung im Höhenheiligtum von Chasseron (1600 m Seehöhe) – mit einer Hauptphase von 40-180 n. Chr. (71, Fig. 8b) und (Münz-) Funden bis in das 4. Jh. – ergab einerseits Hinweise auf das Verstreuen von Münzen, Fibeln und anderem als Votive, anderseits ließ das heterogene Fundensemble aus einer Grube (Votive, Gegenstände der Kultausübung, Schuhnägel) an eine Reinigungsaktion im Sakralbezirk denken. Die Lage von Waffenfunden im Bereich des spätantiken Quellheiligtums von Covatannaz (75, Fig. 11a-b) wiederum lässt auf Kampfhandlungen schließen und nicht auf deren Einbringung als Votive. In der Folge werden die vier Fundorte hinsichtlich paralleler Erscheinungen und jeweiliger spezifischer Eigenheiten miteinander verglichen, um Kriterien für eine Definition von Kultpraktiken zu gewinnen.

 

       P. Koch (87) diskutiert fünf bleierne Fluchtäfelchen und zwei weitere Bleiobjekte. Gefunden im zweiphasigen Sakralbezirk des 2./3. Jh. (89, Fig. 1) von Rapperswil-Jona, Kempraten (CH), eines nördlich des Zürichsees gelegenen römischen vicus, ergab der Vergleich mit über 250 Funden aus Bath und Uley (GB) sowie Mainz (D) einen eher individuellen Umgang mit den Täfelchen am jeweiligen Ort der Niederlegung. Neben Mainz lieferte bisher auch nur Kempraten (publizierte) Täfelchen, die sich an Magna Mater richten (87). Bislang lesbar gewordene Texte auf den Täfelchen von Kempraten beziehen sich auf den Einbruch in ein horreum nebst Entwendung einer Lampe sowie den Diebstahl eines sagum (92 f.).

 

       Zum großen Sakralbezirk von Sains-du-Nord mit drei erfassten Tempeln und weiteren Gebäuden finden sich bei P. Neaud et al. (111) als Ursprung der mehrphasigen Anlage (112, Fig. 2) zwei Brandgräber elitärer Personen der ausgehenden La-Tène-Zeit (Lt D2b, ca. 60-20 v.Chr.), um welche sich ein komplexer Sakralbezirk entwickelte, der im Lauf des fortschreitenden 3. bis 4. Jh. nach einem Brand langsam aufgegeben wurde. Aus den unmittelbar mit den Bauten über den beiden Gräbern assoziierten Befunden werden unter anderem zwei umfangreiche Keramikdepots (flavisch bis erste Jahrzehnte des 2. Jh.) mit intentionellen Manipulationen betrachtet, weiters deutet das vermehrte Auftreten von Fundmünzen in diesem Bereich auf deren bewusstes Verstreuen hin. Zahlreichen Fibeln des 1.-3. Jh. sowie weiterer persönlicher Zierrat aus einer Planierschicht über der nördlich anschließenden Ädicula konnten nicht eindeutig als umgelagertes Material oder aber intentionelle Einbringung im Sinne von „termination deposits“ anlässlich des Aufgebens des Gebäudes unterschieden werden (121, Fig. 8).

 

       Einen enigmatischen Befund präsentiert S. Nieloud-Muller (129) aus dem Lac du Bourget bei Conjux unweit der Rhône (129, Fig. 1). Hunderte in den Seeboden gerammte Baumstümpfe –inklusive Waldkante nur bis 6,2cm dicke Reste von zarten Stämmen nebst wenigen bis 3,77m langen umgekippten Exemplaren – erstrecken sich unter Wasser auf einer Fläche von ca. 400m² (130 f., Fig. 2-3). Die Eiche dominiert unter zehn bestimmten Baumarten; 146 dendrochronologisch untersuchte Exemplare ergaben eine Datierung von 132-185 n.Chr.; ihre Verteilung zeigt die Richtung der jährlichen Ausweitung der Fläche an. Das Spektrum der Fundmünzen reicht von Nero bis Commodus, mit Schwerpunkt Hadrian bis Mark Aurel (133, Fig. 5). Alle Fundgegenstände traten zudem innerhalb der in drei Zonen gegliederten Fläche auf (134-137, Fig. 6-7) und korrelieren zeitlich mit Stämmen und Münzen (Fig. 5). Die zweifellos kultischen Aktivitäten sind mangels Parallelen vorläufig nicht eindeutig zu erklären; erwogen werden unter anderem hydrogeologische Ereignisse (141).

 

       Der Artikel von N. Paridaens et al. (143) stellt das kleine ländliche Heiligtum von Aiseau-Presles vor, mit ein paar hundert Metern Abstand nächst einer römischen Villa gelegen (144, Fig. 2), welches unter anderem einen Umgangstempel, aber auch eine Zone mit handwerklicher Tätigkeit aufweist. Vom Ende des 1. Jh. v. Chr. bis in das 4. Jh. genützt, lässt sich seine Bedeutung als privates Heiligtum einer unbekannten ländlichen Gottheit definieren (145). Während sich die Nutzung des Areals in den ersten Jahrzehnten in der Deponierung von Miniaturgefäßen oder in Hunderten von Münz- und Fibelfunden widerspiegelt (148-153), wird um 100/110 schließlich ein Umgangstempel auf einer leichten Anhöhe errichtet (147, Fig. 4). Ohne Parallelen sind die mehr als 720 Miniaturpflugscharen (5-10 cm Länge) im Fundbestand, die sich über alle Phasen der Nutzung verteilen (153-157, Fig. 8-11), dazu eine einzelne in verwendbarer Größe. Ihr Auftreten respektive die Verwendung als ex voto (vgl. die Kartierung Fig. 11) lässt sich bis dato als Alleinstellungsmerkmal dieses ländlichen gallo-römischen Heiligtums hervorheben und könnte mit Riten für die Bodenfruchtbarkeit zusammenhängen. Eisenreduktion und -verarbeitung zeichnen sich anhand von Öfen, Schlacken und Werkzeugen am untersuchten Areal ab und sprechen für die Erzeugung am Fundort selbst (157 f.).

 

       St. Raux et al. (163) diskutieren Funde aus dem Heiligtum von Trémonteix nordwestlich von clermont-Ferrand, deren Kartierung interessante Clusterbildungen zeigt. Im beginnenden 3. Jh. auf einem Areal von 6.600m² errichtet und bis in das ausgehende 4. Jh. aufgesucht, besteht die Anlage aus einem großen vorgelagerten Hof mit zwei Reihen Pavillons, an den ein separierter Bereich mit Quellkult anschließt (Fig. 2). Mangels epigraphischer Evidenz fehlen jedoch namentliche Hinweise auf die verehrten Gottheiten. Während beim nördlichen der beiden Umgangstempel Cella und Umgang nahezu fundleer blieben und anscheinend verschlossen waren, kamen am gepflasterten Zugangsweg davor zahlreiche Münzfunde und stark zerscherbte Gläser zutage, Letztere auch aus einem Brunnen (Fig. 9,10-15) direkt gegenüber dem Tempeleingang. Beim südlichen Tempel mit Quellfassung in der Cella fanden sich Münzen und anderes jedoch in Cella und Umgang, weiters stark zerscherbte Glas- aber keine Münzfunde (262 Scherben von 14 Ganzgefäßen) in einem als nymphée angesprochenen Annex an der Südostecke des Tempels (Fig. 9,1-9). Gemäß den Analyseergebnissen weist das Wasser des südlichen Tempels keine Besonderheiten auf; ob bzw. welche Wirkung ihm zugesprochen wurde, bleibt offen (184).

 

       G. Rocque et al. (189) behandeln 899 (Alltags-)Objekte aus dem Heiligtum von Magny-Cours. Ein als „sanctuaire 2“ betiteltes Areal, ausgebaut in flavischer Zeit und bis in das ausgehende 4. Jh. in Verwendung, weist neben Sakral- und Wirtschaftsgebäuden auch ein Theater für 3.500 Zuseher auf (192, Fig. 2). Da das Gelände stark eingeebnet ist, mangelt dem reichen Fundmaterial häufig ein klarer stratigraphischer Kontext (189). Die genannten 899 Funde umfassen 412 Münzen, dazu 101 Fibeln vor allem aus dem 1. Jh., weiters 22 Ringe, diverse Werkzeuge und Geräte oder Schmuck (193, Fig. 3); darüber hinaus wurden Keramikscherben von 2184 Gefäßen festgestellt, aber z.B. keine Öllampen (192). Eine Kartierung der Fundmünzen zeigt deren breite Streuung innerhalb des Areals, mit einer deutlichen Funddichte im Umfeld eines zweiräumigen Gebäudes (bâtiment 22) nahe an der südlichen Außenmauer des Theaters; 69 der 91 Münzen sind spätantik (197-200, Fig. 5-6). Die voneinander abweichende Dichte der kartierten Keramik- und Tierknochenfunde in den diversen Zonen, Überreste von Opferhandlungen und Banketten, vermittelt über die einzelnen Gebäudekomplexe hinweg ein stark divergierendes Bild und zeigt unterschiedlich ausgeprägte Aktivitäten an (204-208, Fig. 10).

 

       M. Garcia et al. (215) besprechen eine Zisternenfüllung aus dem Heiligtum von Gergovia südlich von Clermont-Ferrand. Während letzte Siedlungsreste spätestens in claudischer Zeit enden, wurde das Heiligtum im Nordostteil Gergovias seit der ersten Hälfte des 1. Jh. in Stein umgebaut und blieb bis in die antoninische Zeit im 2. Jh. in Betrieb (215). Mangels natürlicher Quellen am Siedlungsplateau erfolgte die Wasserversorgung durch Zisternen; eine solche befand sich auch in der Nordostecke des Heiligtums (Fig. 1-2). Das in drei Phasen eingebrachte Material (218-228, Fig. 4-6) spricht nicht für eine Nutzung als Kultdepot, sondern als Abfallgrube, deren Inhalt Aufschlüsse über die verschiedenen Aktivitäten innerhalb des Sakralbezirks von Opferhandlungen bis zu handwerklichen Tätigkeiten bietet. Dazu ließen sich entsprechende Areale innerhalb der Portiken definieren (Fig. 9).

 

       E. H. Sánchez López et al. (241) geben einen Überblick zu den Grabungen in der Cova dels Jurats im Nahbereich des antiken Hafens von Calescoves im Süden der Insel Menorca (Fig. 1), die aufgrund epigraphischer Relikte vor dem Höhleneingang seit dem 19. Jh. bekannt ist. Die Befunde und das geborgene Fundmaterial deuten rituelle Mähler an, die im Inneren abgehalten wurden, wobei sich die Funde vom 3. Jh. v. Chr. bis in das 2./3. Jh. n.Chr erstrecken (244-251) und eine erste, vorrömische Phase vom 3.-1. Jh. v.Chr. nahelegen. Überreste von 29 Inschriften nennen zuvorderst die Parilien, welche am 21. April als dem Gründungstag Roms gefeiert wurden und von Kaiser Hadrian seit 121 n.Chr. eine besondere Förderung erfuhren (252-254, Fig. 10). Von den Datumsangaben der Inschriften blieb als älteste das Jahr 125 und als jüngste 230 erhalten; die römische Nutzungsphase lässt sich durch Keramikfunde in der Höhle auch schon für das 1. Jh. n.Chr. vermuten (252).

 

       Die Bebauung der Terrasses de Montfo, vorgestellt von O. Ginouvez und St. Raux (259), schließt einen mehrphasigen Sakralkomplex ein, der im unmittelbaren südlichen Umfeld des Oppidums von Montfo errichtet wurde (Fig. 1). Während die ältere, bereits als Heiligtum gedeutete Bebauung von ca. 150-50 v.Chr. (Phase 2) nur schwer fassbar ist, nahm das Ensemble mit der Errichtung eines gemauerten rechteckigen Tempels in der zweiten Hälfte des 1. Jh. v.Chr. (Phase 3a) schließlich Gestalt an; annähernd älteren Gräben folgend wurde in der ersten Hälfte des 1. Jh. eine Umfassungsmauer errichtet (Phase 3b), weiters entstanden in der Zeit ab der Mitte des 1. Jh. bis Mitte des 2. Jh. (Phase 3c) daran im Osten anschließend Areale mit Strukturen, die als Pilgerunterkünfte gedeutet werden (260-263, Fig. 2-3). Im Fundmaterial stechen 70 Münzen der Zeit von 100-50 v.Chr. hervor (Fig. 5-6), während die Zahl der stratifizierten Fundkeramik und Kleinfunde durchgehend relativ bescheiden bleibt (263-275, Fig. 4-10; 275-279, Katalog). Beim Diagramm zu den Fundmünzen (Fig. 6 oben) wüsste man gern, wo der Übergang von gallischen zu römischen stattfindet. Hingewiesen sei auf ein kleines bikonisches respektive kreiselförmiges Gefäß der Phase 3a in hellbeigem Ton, das laut Text keine vergleichbaren Funde kennt (269, Fig. 7,20); hierzu sei angemerkt, dass die Form als solche aus der römischen Stadt auf dem Magdalensberg in Kärnten (Österreich) bekannt ist und dort unter „Lykia“ firmiert, mit einer tendenziellen Datierung in tiberische Zeit. Die fünf publizierten Funde wurden aus Kleinasien importiert und enthielten angesichts des geringen Volumens wohl ein Medikament, da sie eindeutig als Transportbehälter konzipiert sind; ein sechstes Exemplar vom Magdalensberg, das in seiner Formgebung jenem aus Montfo am besten gleicht, konnte aufgrund des Tons, der von Firmalampen bekannt ist, als italische Nachahmung einer Töpferei in Modena angesprochen werden[2]. Parallelen für den Fund der Terrasses de Montfo wären in diesem Formenkreis zu suchen.

 

       Die elf folgenden Beiträge behandeln spezifische Fundgruppen. R. Carboni und E. Cruccas (285) widmen sich Funden aus Grabungen im punisch-römischen Nora im Südwesten Sardiniens. Die Nähe eines Heiligtums, das selbst aber nicht gefunden wurde, konnte aus verschiedenen Terrakotten oder anatomischen Votiven erschlossen werden. Neben späthellenistischen sogenannten „bracieri ellenistici“ aus Keramik, von welchen einige zoomorphe Griffe besprochen werden (289-292), liegt das Augenmerk auf einigen weiblichen Terrakotten (292-300), so vor allem jenen im Gestus der Aphrodite anadyomene, der eine enigmatische kleine, bärtige Gestalt beigestellt ist (Fig. 9). Das Motiv wird mithilfe griechischer und ägyptisch-hellenistischer Mythologie herzuleiten versucht. Zudem werden mögliche lokale Produktionen von Terrakotten erörtert.

 

       Gestützt auf unpublizierte Grabungsunterlagen zum Heiligtum einer unbekannten Gottheit in Tremblois wertet S. Heitzmann (305) aus Kartierungen (Fig. 3-4) die Verteilung der umfangreichen Fibel- und Münzfunde sowie weiterer Artefakte aus. Dem in tiberischer Zeit mit gemauerter Cella und hölzernem Umgang errichteten Tempel (Phase 3) gehen zwei vorrömische Phasen voraus; im frühen 2. Jh. erfolgte die endgültige Ausgestaltung (306-308, Fig. 2). Wenn Fibeln oder Münzen an einer Stelle in großer Zahl auftreten, kommt die jeweils andere Kategorie kaum bis gar nicht vor (314, Fig. 6); eine Erklärung hierfür ist (noch) nicht gefunden. Hunderte eiserne Omega- und Ringfibeln bilden jedoch ein Alleinstellungsmerkmal dieses Heiligtums; ihre oft sorglose Ausführung spricht für eine Herstellung wohl vor Ort eigens für den Zweck der Opferung, was z.B. ein zu einer Fibel zurechtgebogener Nagel widerspiegelt (Fig. 10,6). Wichtig war demnach die Form und nicht der materielle Wert (322); welche Symbolik aber damit assoziiert wurde, bleibt im Dunkeln.

 

       F. Blondel und D. Martinez (327) untersuchen eine Reihe kleiner Holzfässchen aus einem von Feuchtböden und Handwerk geprägten Stadtteil an der nordwestlichen Peripherie von Clermont-Ferrand. Im Zeitraum von 120-250 können vier Ausbauphasen unterschieden werden, deren zweiter – im letzten Drittel des 2. Jh. – ein (Sakral-)Gebäude mit Quellfassung und bemalten Raumwänden angehört (327-333, Fig. 2, bâtiment B). Der Anstieg des Grundwassers erforderte einer Erhöhung des Bodens um die Quelle in der ersten Hälfte des 3. Jh. (332, Fig. 4); in der darüber liegenden Schicht erhielten sich zahlreiche Holzabfälle sowie Dauben und Böden von elf bis dreizehn gepichten Fässchen aus Tannenholz für (errechnete) 0,743-5,906 Liter Inhalt (334-343, Fig. 5-10). Deren Erzeugung direkt vor Ort zum Befüllen mit dem Quellwasser scheint ebenso möglich wie lediglich eine Nutzung der Quelle für die Fassbinderei. Noch im frühen 20. Jh. waren im Umfeld mineralische Brunnen bekannt, was einen antiken Handel mit dem Wasser für welchen Zweck auch immer in Betracht ziehen lässt (346); Brandstempel auf den Böden führen aber zu keiner weiteren Klärung (334-337, Fig. 6).

 

       A. Morel und A. Rousseau (349) wägen Fundmaterial zweier Brunnen nächst dem im Lauf des 2. Jh. errichteten Umgangstempel von Nesle, Mesnil-Saint-Nicaise ab. Eine Schwertatrappe unter zahlreichen Funden aus dem östlichen Brunnen, im Kontext von Fundkeramik der Zeit von 250-275, lässt bezüglich einer Verwendung – bei Kulthandlungen oder als Votiv – keine eindeutige Zuordnung treffen (350-354, Fig. 2-4). Eine Weihegabe aus demselben Brunnen nennt den einzig damit belegten Apollo Vatumarus als Empfänger (350). Der westliche Brunnen enthielt unter vielen anderen Objekten ein Dutzend anatomische ex voto, untere Extremitäten Erwachsener, weiters sechs wenige Zentimeter große und in die erste Hälfte des 2. Jh. datierte reliefierte Situlen und Tellerchen aus Zinn, dekoriert mit Darstellungen von Amoretten, den drei Grazien sowie zwei Nymphen an einem Brunnenbecken. Mittels Parallelen aus Heiligtümern und Gräbern wird der sakrale Charakter der Miniaturgefäße hervorgehoben; der Bezug der Relieffiguren zu Venus als auch Apollo legt nach den Autorinnen zum einen die Fertilität, zum anderen – und aufgrund der anatomischen Votive – den Heilaspekt Apollos nahe (361f.). In der Bibliographie ist „Jenő 1998“ zu „Fitz 1998“ abzuändern; Jenő ist der Vorname des Autors.

 

       Aus mehreren Publikationen bekannt ist die umfangreiche Beschäftigung von J.-L. Podvin (365) mit Beleuchtungsgeräten aus römischen Isisheiligtümern, so im vorliegenden Artikel mit in situ erfassten im römischen Westen. Vom marmornen Kandelaberfuß mit ägyptisierenden Motiven als Teil der Raumausstattung über Lampenvotive bis zu alltäglichen Beleuchtungsgeräten kommt eine Vielzahl an Verwendungsmöglichkeiten in der täglichen Kultpraxis, bei Prozessionen oder als Votive bei Gelübden zur Sprache, untermauert vor allem durch Apuleius’ 11. Buch sowie Inschriften als Textquellen und Wandmalereien im Isistempel von Pompeji. Während in Pompeji eine Lampentöpferei nahe dem Iseum Tonlampen mit ägyptisierenden Motiven als Teil der laufenden Produktion erzeugte, kommt im Fall der Pilgerlampen aus Aqua Regia in Nordafrika, die besonders auch in Gräbern auftreten, eine spezialisierte Werkstatt im Umfeld des Heiligtums infrage (370).

 

       Miniaturgefäße sind alltägliche Fundobjekte in Heiligtümern, aber auch in Gräbern oder Siedlungen. A. Malignas und St. Raux (375) widmen sich in ihrem Beitrag kleinen Bechern, Schälchen, Kelchen und Krügen in hellem beigem Ton, teils mit weißem Überzug, aus zwölf Fundorten (Fig. 5) im Languedoc mit unterschiedlichen Kontexten, darunter vier Produktionszentren (376-381). Der Verwendungszeitraum erstreckt sich in Gallien vom 1. Jh. v.Chr. bis zur Mitte des 3. Jh. (375). Zwei Gefäßtypen – calice, gobelet caréné – fanden sich in keinem funerären oder häuslichen Kontext, sodass eine Verwendung bei religiösen Zeremonien wohl für die Libation naheliegt (390). Das Gefäßvolumen aller genannten Formen lässt sich mit Hilfe römischer Hohlmaße darstellen (384-390, Fig. 7-11); das oben zitierte Gefäß aus den Terrasses de Montfo (269, Fig. 7,20) enthält demnach 4,7cl oder nahezu einen cyathus (387, Fig. 8,22). Eine Reihe von antiken literarischen Quellen zu den Gefäßformen und deren Gebrauch sowie zu den Volumina erhellt den rituellen Charakter ebenso wie im profanen Umfeld eine Verwendung als Messbehelfe in Küche oder Medizin (390-394). Es fällt auf, dass nur Gefäßtypen für flüssige Inhalte vorliegen, Teller fehlen. Wenn man der von Cecilia E. Schultz geäußerten Meinung folgen will, dass die Miniaturgefäße ein preisgünstiger Ersatz für arme Bevölkerungsschichten sein könnten, welche sich kein sacrificium leisten konnten und stattdessen den Höhepunkt und Abschluss eines solchen – nämlich das Kultmahl – symbolisch durch ein geopfertes Miniaturgefäß ersetzt haben, wird man kaum die Frage umgehen können, weshalb dann – anders als an den von ihr zitierten italischen Fundorten – im Languedoc keine Tellerformen vorkommen[3]; oder begnügte man sich dort mit dem Symbol für eine Libation?

 

       A. Saura-Ziegelmeyer (399) legt mit der Untersuchung von Sistren den Fokus auf ein spezielles Kultgerät. An hellenistischen und römischen Fundorten außerhalb Ägyptens sind Sistren vom 3. Jh. v.Chr. bis zum 4. Jh. im Kult der Göttin Isis nachgewiesen (399); von 171 fassbaren Exemplaren bestehen 167 aus Kupferlegierungen, die aufgrund besonderer Klangeigenschaften bevorzugt wurden, weitere vier aus Silber (400-402, Anm. 11). Anhand detaillierter Beobachtungen (Tab. 1-3) an zwölf antiken Bügelsistren und drei Kopien können drei kampanische Typen definiert werden (404-411); die meisten stammen aus Pompeji. Beim type à lamelle (406-409, Fig. 7-8) weist die Autorin schlüssig nach, dass eine kleine, den Bügel bekrönende Figur keine säugende Katzenmutter mit zwei Jungen, sondern ein hundeartiges Muttertier wiedergibt (409, Fig. 8). Die typologischen Details und die enge Datierung der kampanischen Funde können für Sistren ohne exakte Fundangaben in diversen Museumsbeständen das Erschließen der zeitliche Zuordnung oder Herkunft erleichtern (413).

 

       Bei C. Barbau (415) steht das Auftreten italischer Importe in neun spätlatènezeitlichen Heiligtümern Mittelgalliens und der Belgica im Zentrum (Fig. 2). Während Siedlungs- und Grabfunde seit dem 2. Jh. v. Chr. vermehrt italische Bronzegefäße, Schreib- und Toilettegeräte, an Gewand und Körper getragenen Zierrat etc. zeigen, kommen solche Funde in Heiligtümern der voraugusteischen Zeit kaum vor. Unter rund 750 nicht-keramischen Fundobjekten italischer Prägung traten 44 in den neun Heiligtümern zutage (Fig. 3-4), der überwiegende Teil hingegen in Oppida oder funerären Kontexten und wiederum nur selten im ländlichen Ambiente (416 f., Fig. 1). Während italische Importe als Prestigeobjekte und Statussymbole als Beigaben im funerären Kontext bereits gängige Praxis waren, findet als Grund für die geringe Anzahl im sakralen Milieu eine konservative Haltung gegenüber Neuerungen bei religiösen Praktiken Erwägung (425).

 

       Der Beitrag von D. Canny et al. (429) legt den Fokus auf neolithische Beile und fossile Seeigel aus der Cella eines Umgangstempels in Chartre / Autricum, eines der wenigen Beispiele eines solchen Sakralbaus innerhalb einer Insula im städtischen Wohngebiet (429-431, Fig. 1), dessen Errichtung auf Betreiben eines benachbarten städtischen Notablen erwogen wird (435). Der Tempel, der schräg zur Insulaverbauung steht, wurde gegen die Mitte des 2. Jh. nach bereits vorangegangenen Nutzungsphasen errichtet und fiel im zweiten Viertel des 3. Jh. einem Brand zum Opfer; aus den in der Cella dokumentierten Funden ließ sich nicht klären, ob und wie sie präsentiert waren und ob sie einmalig oder sukzessive in das Gebäude gelangten. Neolithische Beile und fossile Seeigel finden sich häufig in den gallischen Heiligtümern (431-434), so auch Beile in den Beiträgen von C. Barbau und S. Blin (48 f., Fig. 4) oder St. Raux et al. (173, Fig. 5,19), um die abgebildeten zu zitieren. Belege in der antiken Literatur zu beiden Fundgruppen geben mögliche Anhaltspunkt, so die Vorstellung von Schlangeneiern zu den Seeigeln und von Donnerkeilen für die Beile, die am Ort eines Blitzeinschlags zu finden seien (434). Bei welchen rituellen Handlungen sie Verwendung fanden oder welcher Gottheit sie geweiht waren, bleibt indes ungeklärt (435).

 

       M. Audoly und S. Talvas-Jeanson (439) stellen Terrakottastatuetten aus einem Heiligtum in Vendeuil-Caply vor, die im Zuge von Grabungen aus einer in die Zeit von 170-180 datierten Brandschicht geborgen wurden. Statuetten der Venus anadyomene halten mit 19 Exemplaren den größten Anteil am Fundcorpus, dazu kommen einige thronende Muttergottheiten, Minerva und Apollo, weibliche Büsten und noch nicht näher deutbare männliche Statuetten, weiters als Opfertiere gekennzeichnete Stierfigürchen, dazu Hirsch, Löwin, Tauben und Hühnervögel (443-447, Fig. 3-6). An den Terrakotten blieben kräftige Farben erhalten, zudem sind Pigmentfunde aus der Brandschicht geborgen worden, was die Herkunft aus einem nächstgelegenen Atelier untermauert. Sie kommen als Ausdruck der Volksfrömmigkeit in großen Mengen in gallischen Heiligtümern vor, werden aber selten im Innenraum großer städtischer Tempel gefunden (448).

 

       Der Beitrag von I. Fauduet (451) schöpft aus Funden verschiedener Materialgruppen vom Areal zweier Umgangstempel im Heiligtum des Mersans von Saint-Marcel / Argentomagus mit zahlreichen Grubenfüllungen aus der 1. Hälfte des 1. Jh. (451-456, Fig. 1-3; Phase 2); die Errichtung von Tempel 2 datiert neronisch (Phase 3), Tempel 1 ist weniger gut erfasst. Eine kontextbezogene Auswertung stützt die Unterscheidung von Funden mit deutlich kultischem Charakter (456 f.) – unter anderem über 30 weißtonige Statuetten, darunter solche der Venus anadyomene und sitzender Muttergottheiten, drei aus Bronze, zwei Amulette aus Hirschgeweihrosen, schwieriger zu beurteilen die über 50 Lampen – von persönlichen Gebrauchsgegenständen, die als mögliche Votive in die Gruben gelangten wie Fibeln oder Schmuck, Waffen und Messer, Schreibgerät und Schlüssel, dazu diverse „objets monétiforme“ respektive „rondelles“. Werkzeugfunde oder Abfälle der Metallverarbeitung können aber auf eine Produktion für den Kultbetrieb ebenso hindeuten wie auf Reparaturen am Baubestand vor der Errichtung der Tempel oder während ihres Bestehens (463-465).

 

       Der letzte Abschnitt „Sites du Grand-Ouest“ enthält sechs Materialpräsentationen. Bei S. Bertaudière et al. (471) stehen Funde aus dem großen Heiligtum von Vieil-Évreux im Fokus, das einige Umbauphasen aufweist und schließlich als Kastell endet (471-473, Fig. 1). Während das kartierte Fundmaterial der claudischen bis antoninischen Phasen in direktem Zusammenhang mit der Kultausübung dreier aneinandergereihter Tempel steht und Fundkonzentrationen offenbart, die sich in vier Deponierungstypen einteilen lassen (473-479, Fig. 2-6), vermehrt um annähernd 3400 Schuhnägel (Fig. 3), rühren Funde aus der severischen Zeit, in welcher ein monumentaler Ausbau diese Tempel ersetzte, aus der Füllung eines der gleichzeitig angelegten tiefen Schächte her. Das Einbringen der Füllung scheint allerdings erst mit der Nutzung des Areals als Befestigung in Zusammenhang zu stehen (puisard CS.2265); eine Interpretation von Alltagsgerät als Votivgaben aus abgeräumten Deponierungen gestaltet sich daher schwierig (480-495, Fig. 7-13).

 

       Ähnlich schwierig sind die Fundumstände auch bei S. Talvas-Jeanson et al (499) zu einem im Val-de-Reuil seit der augusteischen Zeit existierenden und bis in das frühe 3. Jh. erweiterten Heiligtum, das für die ab der Mitte des 3. Jh. entstandene Siedlung Zug um Zug als Steinbruch fungierte (499-501, Fig. 2). Über 700 Fundobjekte (501-518, Fig. 3-11; Kartierung Fig. 2) schließen persönliche Gebrauchsgegenstände mit ein, die mögliche Votive abgeben wie andernorts hinlänglich bekann ist, so drei regional nicht gebräuchliche Fibeltypen oder vereinzelter Arm- und Fingerschmuck (508 f., Fig. 6,14-20). Dokumentiert ist eine ganze Reihe von Beschlägen und weiteren Teilen der Pferdeschirrung (511-515, Fig. 8), vorwiegend gefunden in einer Grube außerhalb des Kultbezirks zusammen mit einer eisernen Fußfessel (516, Fig. 11); aus Lage und Datierung ließ sich als Hypothese eine Deponierung im Zusammenhang mit dem langsamen Versiegen des Kults im 3. Jh. formulieren (513). 167 der 191 römischen Fundmünzen stammen jedoch aus dem 4. Jh., nur 20 gehören dem Zeithorizont der Kultausübung von der augusteischen bis zur severischen Zeit an; der Rest sind gallische und solche des 5. Jh. (502).

 

       Bei A. Archer (523) stehen bewegliche Güter aus dem Heiligtum von Vieille-Court in Mauves-sur-Loire im Blickfeld. Das meiste Fundmaterial gehört den Jahren von etwa 20/30-70 des 1. Jh. an und somit zu den baulichen Spuren vor der Errichtung des in Stein gemauerten Umgangstempels sowie einer langgestreckten Halle (523-525, Fig. 2). Einem Augenvotiv, einem Bronzeglöckchen oder dem Fragment einer Beinflöte mit Bronzeüberzug wird der direkte Bezug zur Kultausübung attestiert, ebenso einer Siegelkapsel, einem häufigen Fund in gallischen Heiligtümern und mehrfach in den vorliegenden Beiträgen erwähnt (526 f., Fig. 3). Eine Reihe fragmentierter kleiner Terrakotten (Statuetten, Architektur) und die Mehrzahl der 16 dokumentierten Fibelfunde dürften einem Depot der Phase vor der Errichtung angehören (527-532, Fig. 4-5), ebenso wie die meisten der gefundenen Militaria (Fig. 6,46-54). Der vollständig erhaltene bronzene Klappmaßstab von einem Fuß Länge aus einer augusteisch-neronischen Schicht bleibt hingegen außergewöhnlich (532, Fig. 6,55). Seit der Publikation von Colin Andrews zu den Siegelkapseln aus Britannien, der aufgrund einiger Beispiele das Aufnähen auf Stoff oder Leder und das Versiegeln von (Geld-)Säckchen nachweist[4], können Siegelkapseln nicht mehr zwanglos als Zeugnisse für Schreibtäfelchen angesehen werden, die mit frommen Wünschen in Heiligtümern deponiert worden sein sollen; einige Beispiele liefert auch der vorliegenden Band wie C. Barbau vermerkt (415, Anm. 1 und Fig. 4). Vielmehr ist anzunehmen, dass Objekte jeder Art in einem schützenden Beutel verwahrt und mit der Versiegelung dem weiteren Zugriff in jeglichem kultischen Kontext entzogen werden sollten. Ob ankorrodierte textile Reste an Münzen, Fibeln, Schmuck und dergleichen oder an sonstigen der zahllosen gallischen Votivgaben aus Kupferlegierung und Eisen zu finden wären, ließ sich dem vorliegenden Band nicht entnehmen; Beispiele gäbe es andernorts.

 

       Am Areal des Heiligtums des Perrières von Allonnes unterscheiden R. Lucas et al. (537) vier Phasen vom Beginn des 1. Jh. bis zum Beginn des 3. Jh., ohne dass eine durchgehende sakrale Nutzung nachweisbar wäre; der gemauerte Umgangstempel fällt erst in die Periode 3 vom Ende des 1. / Beginn des 2. Jh. (540 f., Fig. 2-3). Aus dem Fundbestand hervorgehoben werden vier Augenvotive, die Basis einer kleinen Büste mit Dedikation an Minerva und ein kleiner, den Fatae geweihter Altar (541 f., Fig. 4-6). Als verschollen gilt ein 1968 entdecktes Bronzestäbchen von 14,3cm Länge, das an einer Seite Markierungen trägt und heute als Teil eines ganzen Satzes solcher Stäbchen für ein unbekanntes Spiel angesehen wird (542, Fig. 7).

 

       M. Mortreau (545) wertet Militariafunde aus kultischen Kontexen im Pays de la Loire aus. Von den 42 mit Abbildung und Katalog präsentierten Stücken gehören 32 der frühen bis mittleren (545-551, Fig. 2-4) und zehn der späten Kaiserzeit an (551-553, Fig. 5-6). Es werden nur einzelne Teile oder Bruchstücke von Angriffs- (Schwertgriff, Pilum- und Lanzenspitzen) und Schutzwaffen (Panzerschuppe und -schließen, Rüstungsbeschläge, Helmbeschlag, Gürtelteile) und sekundären Militaria (Beschläge) aufgefunden, deren Zuordnung Legionärs- und Auxiliarwaffen unterscheiden lassen und bei den späten Funden auch eine germanische Wurfaxt des 4. Jh. enthalten, was auf entsprechende Truppenteile in der Region hindeutet (553, Fig. 3,36). Die späten Funde sprechen indes nicht zwingend für eine Fortsetzung der Kultausübung (554).

 

       Der letzte Beitrag von F. Sarreste et al. (563) untersucht Fundmünzen aus einem Kanal, der die pars urbana der römischen Villa von Rouelle / La Selle durchzieht und zu deren Ausbauphase im ersten Viertel des 2. Jh. gehört (563-565, Fig. 1). Die meisten der 92 Münzen sind Sesterze des 1. und 2. Jh. (567 f., Fig. 3), die im 3. Jh. von einer durch Ziegelplatten markierten Stelle aus ins Wasser geworfen wurden, wie aus der Kartierung hervorgeht (Fig. 6). Der als iactatio stipis, ein Gelübde begleitender Vorgang, ist aus Tausenden von Fundmünzen in entsprechender Fundlage an sakralen Orten der gesamten römischen Welt und darüber hinaus wohlbekannt. Es wäre möglich, dass – wie andernorts erwiesen ist – im Umfeld der Villa ein zugehöriges Heiligtum zu finden wäre (570-572).

 

       Zweisprachige Abstracts (575-588) in Französisch und Englisch zu den einzelnen Beiträgen beschließen den Band.

 

       Angesichts einer Vielzahl an ungewöhnlichen Befunden oder Fundobjekten in den Beiträgen bedauert man gemeinsam mit vielen der Autorinnen und Autoren Altgrabungen, die zwar Funde, aber keine sorgfältigen Grabungsdokumentationen hinterlassen haben. Aus religiöser Überzeugung haben Menschen immer schon absurd scheinende Handlungen vollzogen; ohne die Möglichkeit zur Befragung der antiken Akteurinnen und Akteure mögen diese uns als unverständlich entgegentreten, je weniger sie nachvollziehbar sind – für die antiken Menschen machten sie jedoch Sinn, ansonsten wären sie unterblieben. Die Systematisierung, die in der Einleitung gefordert wird, bringt insofern Abhilfe, als formale Ähnlichkeiten in geografisch weit voneinander entfernten Gebieten erkennbar werden; ob allerdings die damit verbundenen Vorstellungen übereingestimmt haben, lässt sich nicht so einfach beweisen. Abgesehen davon wird in den einzelnen Beiträgen häufig von antik verlagertem Material durch Umbauten, Säuberung des Geländes, Vergraben von Opfergaben aus überquellenden Gruben oder Tempelräumen etc. berichtet; die ursprüngliche Form der Präsentation oder des Verbergens kann trotz sorgfältiger Ausgrabungsmethoden oft genug nicht eruiert werden.

 

       Bevor sie in einem Heiligtum niedergelegt wurden, war eine Vielzahl der anzutreffenden Funde am Körper getragen worden, wie Fibeln oder Schmuck; man könnte sie als ständig präsente Stellvertreter im Kultgeschehen vor Ort für die Person ansehen, die sie bewusst zurückgelassen hat, um die ununterbrochene rituelle Kommunikation mit der jeweiligen Gottheit symbolisch aufrechtzuerhalten[5]. Namen sind darauf selten vermerkt, die Gläubigen blieben anonym. Umso abwegiger scheint eine Definition als zufälliger „Verlustfund“ zu sein, wenn durch – mehrfache – Umlagerungen ein klarer ritueller Kontext verlorengegangen ist; der Terminus wird in der Archäologie aber überaus gern verwendet. Man bedauert zudem umso mehr das weitgehende Fehlen von Textilien aufgrund deren Vergänglichkeit in klimatisch ungünstigen Zonen. Die mit „sacrificium“ und „votum“ umschriebenen Rituale[6] hinterlassen darüber hinaus Funde im Boden, die nicht immer zweifelsfrei zu erkennen geben, wo sie zuzuordnen sind; eine kleine Glocke kann ein sacrificium begleitet haben oder als Votiv für ein Gelübde niedergelegt worden sein. Schuhnägel als Beifunde mögen profan wirken, werden aber zu Tausenden geborgen und geben beredtes Zeugnis von den Besuchern der Heiligtümer; vielleicht wurden auch Schuhe deponiert.

 

       Der Band ist eine ideale Auslese für die Erforschung der materiellen Kultur im sakralen Kontext, da er die breite Palette an Funden, deren oft genug schwierige Deutung im Kultgeschehen und die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Auswertung präsentiert. Eine ganze Reihe der Beiträge schöpft aus Materialien, die bei Rettungsgrabungen zum Vorschein gekommen sind; gerade dieser Umstand vermehrt praktisch jährlich die Kenntnis von Sakralanlagen jeglicher Art und von einschlägigen Funden. Aus bereits Bekanntem lässt sich ein guter Überblick zu erwartbaren Ergebnissen erzielen und unterstützt das Formulieren von Forschungsfragen oder das Interpretieren von überraschenden Grabungsergebnissen. Gewidmet ist der Band den römischen Sanktuaren; wie schwierig eine Kultkontinuität aus vorrömischen Spuren durch die vielfältigen Eingriffe in den Boden zu fassen ist, lässt sich bei manchen Beiträgen nur erahnen. Da der Interessentenkreis für den Themenschwerpunkt weit über die Archäologie hinausreicht, kann davon ausgegangen werden, dass künftig eine breitere Leserschaft den Band mit Gewinn studiert und der Inhalt nicht nur in Grabungsberichten und Fundvorlagen seinen Niederschlag findet wird.

 

 


[1] Vgl. https://www.instrumentum-europe.org

[2] K. Gostenčnik, Die medizinische Versorgung in der Stadt auf dem Magdalensberg. Ein Beitrag zum Typenspektrum spätrepublikanisch-frühkaiserzeitlicher medizinischer Instrumente. In: G. Piccottini (Hrsg.), Die Ausgrabungen auf dem Magdalensberg 1986-1990. Magdalensberg-Grabungsbericht 17 (Klagenfurt 2004), 357-442 [zu den Lykia 585 f., Taf. 20]. Vgl. zu solchen Funden aus Patara G. Işın, Ointment or Medicine Vessels from Patara: An Overview of a Simple Hellenistic Form in the Ancient Mediterranean World. Archäologischer Anzeiger 2002/2, 85-96.

[3] C. E. Schultz, Roman Sacrifice, Inside and Out. Journal of Roman Studies 106, 2016, 58-76.

[4] C. Andrews, Roman Seal-Boxes in Britain. BAR British Series 567 (Oxford 2012), 88-92, Fig. 72-80.

[5] Vgl. J. Rüpke, Römische Religion in republikanischer Zeit. Rationalisierung und ritueller Wandel (Darmstadt 2014), 25 f.

[6] Zur Definition vgl. Anm. [3].

 

 

Table des matières

 

Liste des Auteurs (7)

Sommaire (11)

Préface (15)

Préface (17)

Introduction (19)

 

Méthodologie, études générales de sites, mise en évidence de rites (35)

 

Clémentine Barbau, Séverine Blin

Mobilier en contexte religieux : le complexe monumental du théâtre de Mandeure (37)

 

Pascal Brand, Aurélie Crausaz, Matthieu Demierre, Antoine Rochat

Caractérisation des pratiques cultuelles perçues à l’aide de l’instrumentum dans la région d’Yverdon (Vaud, CH) (61)

 

Pirmin Koch

«... in templo suo ponat.» Les tablettes de malédiction de Kempraten (Rapperswil-Jona, CH) et la pratique rituelle dans les sanctuaires (87)

 

Pascal Neaud, Alexia Morel, Sonja Willems avec la collaboration de Jennifer Clerget, Sacha Kacki, Benoît Leriche et de Fabien Pilon

Entre production et destruction : le mobilier enfoui du sanctuaire de Sains-du-Nord (Nord, FR) (111)

 

Sébastien Nieloud-Muller 

Le mobilier archéologique du site cultuel lacustre romain de Conjux (lac du Bourget, Savoie, FR). Chronologie, répartition, association et traitement (129)

 

Nicolas Paridaens avec la collaboration d’Antoine Darchambeau et Fanny Martin

Offrandes et objets de culte du sanctuaire d’Aiseau-Presles, chez les Tongres (Hainaut, BE) (143)

 

Stéphanie Raux, Kristell Chuniaud, Vincent Geneviève, Laure Simon, avec la coll. de Marion Cabanis, Pierre Caillat, Pierre Mille et Alain Wittmann

Des rites de iactatio stipis et de consommation des liquides mis en évidence par les mobiliers sur le sanctuaire antique de Trémonteix à Clermont-Ferrand (Puy-de-Dôme, FR) (163)

 

Gabriel Rocque, Magali Garcia, Aurélie Ducreux, Pierre Nouvel

De la difficile interprétation du mobilier du sanctuaire antique de Magny-Cours (Nièvre, FR) (189)

 

Magali Garcia, Romain Lauranson, Morgan Millet

La citerne du sanctuaire de Gergovie (Puy-de-Dôme, FR) : du fonctionnel au rituel (215)

 

Elena Sanchez Lopez, Margarita Orfila Pons, Mario Gutiérrez Rodriguez, Purificatión Marin Díaz 

Un sanctuaire dédié à Rome à Calescoves (Minorque, ES). Étude du mobilier archéologique (241)

 

Olivier Ginouvez, Stéphanie Raux

Les « Terrasses de Montfo » à Magalas (Hérault, FR) : lieux de culte et mobiliers instrumentum (259)

 

Catégories de mobiliers spécifiques (283)

 

Romina Carboni, Emiliano Cruccas

Manufàtti votivi e instrumenta provenienti dalla città punica e romana di Nora (Sardegna, IT). Il caso dell’ex area militare (285)

 

Samantha Heitzmann 

Fibules en contexte cultuel : le cas du Tremblois à Villiers-le-Duc (Côte-d’Or, FR) (305)

 

François Blondel, Damien Martinez

Productions manufacturées et espaces sacrés : réfiexions autour de la fabrication et de l’utilisation de tonnelets associés à un captage d’eau de source dans la périphérie d’Augustonemetum/Clermont-Ferrand (Puy-de-Dôme, FR) (327)

 

Alexia Morel, Aurélie Rousseau 

Des objets factices comme symboles de piété ? Digressions autour d’une série inédite découverte à Nesle, Mesnil-Saint-Nicaise (Somme, FR) (349)

 

Jean-Louis Podvin

Présence de luminaires dans les sanctuaires isiaques de l’Occident romain (365)

 

Adrien Malignas, Stéphanie Raux 

Les petits vases « votifs » en céramique calcaire : production et utilisation cultuelle sur quelques sites de Narbonnaise centrale (FR) (375)

 

Arnaud Saura-Ziegelmeyer

Quelques réflexions sur l’analyse autoptique des sistres pompéiens : trois exemples de types locaux (399)

 

Clémentine Barbau 

L’instrumentum de type italique dans les sanctuaires : une romanisation des pratiques religieuses ? (415)

 

Dominique Canny, Jean-Michel Morin, Guy Richard avec la collaboration de Pierre Perrichon, Thierry Bouclet et Hervé Sellès 

Un dépôt de haches et d’oursins fossiles découvert dans la cella d’un temple à galerie périphérique à Chartres / Autricum (Eure-et-Loir, FR) (429)

 

Marion Audoly, Sandrine Talvas-Jeanson 

Des figurines en terre cuite au coeur de l’agglomération antique de Vendeuil-Caply (Oise, FR) (439)

 

Isabelle Fauduet

Le sanctuaire des Mersans (1970-1980) à Argentornagus (Indre, FR), de l’analyse spatiale de l’instrumentum à la base de données des sanctuaires (451)

 

Sites du Grand-Ouest (469)

 

Sandrine Bertaudière, Christophe Loiseau, Stephanie Zeller, Laurent Guyard 

Des offrandes aux gestes et croyances : pratiques, espaces du culte et persistance des rites après la fermeture du sanctuaire gallo-romain (Le Vieil-Evreux, Eure, FR) (471)

 

Sandrine Talvas-Jeanson, Dagmar Lukas avec la collaboration de Serge le Maho 

Le mobilier gallo-romain découvert en contexte cultuel à Val-de-Reuil (Eure, FR) (499)

 

Antoine Archer

Les mobiliers du sanctuaire de Mauves-sur-Loire (Loire-Atlantique, FR) (523)

 

Reynald Lucas, Vincent BernoIlin, Hugo Meunier avec la collaboration de Sébastien Cormier, Sébastien Facchinetti, Christophe Loiseau, Fabien Pilon, Stéphanie Raux, Christophe Wardius 

Le sanctuaire des Perrières (Allonnes, Sarthe, FR) : état de la réflexion sur la chronologie et les mobiliers (537)

 

Maxime Mortreau

Découvertes de militaria en contexte cultuel en Pays de la Loire : un état des lieux (545)

 

Florian Sarreste, avec Paul-André Besombes, Sonia Boutier, Chloé Genies, Anthony Ledauphin, Christophe Loiseau, Hugo Meunier

Le dépôt de monnaies du canal de la villa romaine de Roullée/La Selle (Mont-Saint-Jean, Sarthe, FR) : un culte des eaux en contexte domestique ? (563)

 

Résumés/Abstracts (575)