Froschauer, Harald - Römer, Cornelia (Hrsg.): Zwischen Magie und Wissenschaft.
Ärzte und Heilkunst in den Papyri aus Ägypten (Nilus 13), 2. korrigierte Auflage, ISBN 978-3-85161-011-6. VIII + 140 Seiten, S/W-Abb. und 7 Farbtaf. im Text, 24 x 17 cm, broschiert
Preis: 29 € zzgl. Versandkosten
(Phoibos Verlag, Wien 2009)
 
Reviewed by Christine Rogl
 
Number of words : 2329 words
Published online 2010-06-22
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
Link: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=752
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            Das von Harald Froschauer und Cornelia Römer herausgegebene Buch zum Thema Ärzte und Heilkunst in den Papyri aus Ägypten bezieht sich auf eine 2007 im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek veranstaltete, gleichnamige Ausstellung. Papyri aus Ägypten, die in Ägyptisch, Griechisch, Koptisch und Arabisch verfasst sind, wurden für die Ausstellung und den hier zu besprechenden 13. Nilus-Band herangezogen. Dabei standen Fragen nach dem Wissensstand der Ärzte in der Antike über Krankheiten, Anatomie und Physiologie, nach den damals bekannten Heilungsverfahren und Heilmitteln sowie nach den Leiden der Erkrankten im Vordergrund.

 

            Das Quellenmaterial bilden die Papyri der österreichischen Papyrussammlung. Die Wiener Sammlung zählt zu den bedeutendsten Kollektionen und stellt nach Oxford und dem British Museum in London die drittgrößte Sammlung an Papyri in der Welt dar. Die ersten Papyri wurden von Theodor Graf, Besitzer eines Orientteppich-Unternehmens in Wien, mit Filiale in Kairo, im Auftrag von Josef Karabacek, Professor für Geschichte des Orients an der Universität in Wien, 1881-82 angekauft. 1883 erwarb sie Erzherzog Rainer, der neben Papyri auch Pergamente und Papiere aus Ägypten sammelte. Der Erzherzog schenkte seine Sammlung 1899 an Kaiser Franz Josef, der sie an die k .u. k. Hofbibliothek weitergab. Heute stellen diese Papyri, die aus der Oase Fayum stammen neben zahlreichen anderen Fundstücken aus weiteren ägyptischen Gauen den Hauptteil der Papyrussammlung der österreichischen Nationalbibliothek dar, welche ca. 180.000 Fundstücke umfasst.

 

            Die für die Ausstellung und die Publikation ausgewählten Papyri bilden nun – neben einigen wenigen anderen Fundstücken, darunter medizinische Geräte, zwei Statuetten, ein beschriftetes Salbgefäß und eine Mumie – einzigartige Quellen zur Alltagsgeschichte der Menschen: Einblicke in die briefliche Korrespondenz zwischen Ärzten, Apothekern, Patienten, Übersichten zu Kräuter- und Drogenlisten, Mengen- und Preisangaben, aber vor allem Einsichten in die Lebens-, Gedanken- und Gefühlswelt einzelner Personen verschiedenster kultureller Zugehörigkeiten werden gegeben. Auch lassen sich anhand der Papyri Änderungen in der medizinischen Versorgung in zeitlicher und regionaler Hinsicht für Ägypten klar feststellen, denn die präsentierten Fundstücke decken den Zeitraum des späten 3. Jahrhunderts v. Chr. bis ins 11. Jahrhundert n. Chr. ab. Darüber hinaus ist den Papyri ein weiteres Faktum zu entnehmen: Die Medizin von damals bestand – von unserem (gängigen) heutigen Standpunkt aus gesehen – aus Wissenschaft und Magie. Eine klare Trennung zwischen wissenschaftlich medizinischem und magisch medizinischem Heilverfahren ist zumeist nicht möglich; jedoch weisen die unterschiedlichen Bezeichnungen für Arzt (tabib), Apotheker (’attar) und Wunderheiler (muhyi) in den Papyri auf klare berufliche Unterscheidungen und Ausbildungen hin. Auch hat die Bevölkerung – wohl je nach Angebot und Möglichkeiten – die Dienste aller in Anspruch genommen.

 

 

            Vorwort und Einleitung des Buches sind kurz und informativ gehalten (S. VII, 1-3). Der Hauptteil (S. 5-81) umfasst insgesamt sieben Beiträge von österreichischen und ausländischen Autoren, die in deutscher, teils auch in englischer Sprache verfasst sind; auch finden sich englischsprachige Zusammenfassungen. Ein daran anschließender, in zwei Teile gegliederter Katalog zeigt nochmals die themenimmanente Problematik auf: auf den S. 83-115 finden sich Fragmente, die Medizin im heutigen wissenschaftlichen Sinn überliefern, auf den S. 116-127 Fragmente, die Medizin im heutigen Sinne von Magie bereitstellen. Schwarz-weiß-Abbildungen werden innerhalb der Beiträge oder direkt bei den im Katalog besprochenen Fragmenten gegeben. Eine Tabelle mit den Ingredienzien der publizierten Rezepte, die auch in den Schriften des Dioskurides, dem berühmtesten Pharmakologen des Altertums, behandelt werden, folgt (S. 128-130). Abgekürzt zitierte Literatur, Auflösungen der zitierten Zeitschriften (S. 130-132) und Farbabbildungen (S. 133-139) schließen das Buch.

 

            Cornelia Eva Römer gibt als Direktorin der österreichischen Papyrussammlung und des Papyrusmuseums sowohl ein Vorwort mit Danksagungen als auch eine in das Thema und die Forschungsgeschichte einführende Einleitung. Sie schlägt einen großen Bogen von der altägyptischen Medizin, über den ersten Höhepunkt der Medizin in griechisch-klassischer Zeit (Hippokrates von Kos, Lehre vom richtigen Mischungsverhältnis der Vier-Säfte im Menschen) und den Forschungsfortschritten in hellenistisch-römischer Zeit (Erasistratos und Herophilos von Alexandria, Durchführung von Vivisektionen; Galen von Pergamon, Leibarzt des Kaisers Mark Aurel), bis hin zu einem spürbaren Niedergang der medizinischen Versorgung in der Spätantike und der arabischen Zeit. Ihrer Einführung folgen sieben Spezialbeiträge, die nun eine Fülle an Detailinformationen liefern:

 

            Vivian Nutton vom Wellcome Trust Centre für Medizingeschichte des University College London (http://www.ucl.ac.uk/histmed) bringt in ihrem Beitrag Die Medizin der Griechen und Römer und die griechischen Papyri (S. 5-12) eine allgemeine Einführung in die Wissenschaftsgeschichte. Nutton führt aus, dass die Papyrusfunde in Ägypten, die ca. ab 1880 getätigt wurden, und ihre Auswertung (ab 1900, insbesondere ab 1960) die Sichtweise zur antiken Medizingeschichte völlig veränderten. Denn die Papyri zeigten plötzlich die Praxis, darunter die Rezepte, welche die Ärzte verschrieben. Medizin und Volksmedizin waren nicht mehr einfach zu trennen, die Grenzen waren offensichtlich fließend. Das Wissen um den richtigen Namen und das richtige Wort (gemäß der ägyptischen Tradition) gab die Garantie für die Wirksamkeit des Zaubers. Anzumerken bleibt, dass Ärzte in den Papyri fast immer Männer waren. Ein einziges Mal werden eine Ärztin und zweimal Hebammen (Maiai) erwähnt. Auf S. 13-21 folgt die deutsche Übersetzung zu ihrem Artikel.

 

            Isabella Andorlini von der Universität in Parma beschreibt in ihrem Artikel Prescriptions and Practice in Greek Medical Papyri from Egypt (S. 23-33) Tradition und Praxis in der historischen Medizin Ägyptens. Sie informiert uns darüber, dass derzeit ca. 260 Papyri mit medizinischem Inhalt bekannt sind. Die Hälfte davon stammt aus römischer Zeit, dabei ist jedoch kein einziges Fragment in Latein abgefasst. Medizin wurde traditionell von Griechen ausgeführt, die Sprache war und blieb für sehr lange Zeit Griechisch. Als Ausbildungszeiten für Ärzte nennen uns die Papyri eine Zeitspanne zwischen sechs Monaten und elf Jahren. Auch belegen die Papyri die Zweisprachigkeit (in Wort und Schrift) der Ärzte sowie ihre diagnostischen Fähigkeiten. Als Quellen besitzen wir neben medizinischen Handbüchern (Manualen) sowohl praktische Anwendungstexte, die nach medizinischen Disziplinen, nach Art der Seuche, Art der Therapie oder Exzerpten verschiedener Autoren angeordnet sind, als auch Rezepte auf Einzelblättern, die augenscheinlich für den privaten Gebrauch bestimmt und sogar auf lokal vorkommende Kräuter abgestimmt waren. Insgesamt belegen die Papyri medizinischen Inhalts eine gewisse Neigung zum Konservatismus; in der Volksmedizin dürfte sich die altägyptische Medizin bewahrt (und wohl auch bewährt) haben. Diese befassen sich insbesondere mit gynäkologischen Beschwerden (Menstruationsbeschwerden, Gebärmuttervorfall, etc.), zu deren Behandlung man zahlreiche Kräutertherapien kannte, und Augenkrankheiten, die zumeist mit speziellen Salben behandelt wurden, wie uns die zahlreichen Rezepte offenbaren. Ebenso wurden Haut- und Wundsalben hergestellt, so auch Salben gegen Bisse tollwütiger Hunde. Eine weitere Spezialisierung wurde im Alexandria der hellenistischen Zeit erreicht, wo sich damals bereits Ärzte für Augen, Zähne, Magen, Kopf, Unterleib und wohl spezielle Chirurgen finden, wobei jedoch bereits Herodot II 84 hinsichtlich der ägyptischen Ärzte von Fachärzten spricht. Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse nahmen stetig zu, und die Kenntnis von der Wirksamkeit bestimmter Kräuter war hoch entwickelt. Medizinische Substanzen wurden auch in besonderen Gefäßen aufbewahrt; es war bekannt, was wofür und worin aufzubewahren war. So sicherten Glas-, Alabaster-, Ton-, Holz-, Bronze- oder Bleibehältnisse die Konservierung des Geschmacks und der Frische der Substanzen (1). Die Gefäße waren mit Produktetiketten versehen. Zutaten und Produkte selbst lassen auf einen regen (Fern-)Handel mit pflanzlichen und mineralischen Substanzen schließen.

 

            Ein Rezept sah damals nicht viel anders als heute aus: es bestand aus 1. Titel, 2. Anwendungsbereich, 3. Ingredienzienliste, 4. Zubereitungsart. Salben enthielten z. B. bereits Bindemittel wie Gummi Arabicum und Trocknungsmittel.

 

            David Leith, wiederum vom Wellcome Centre in London, diskutiert in seinem Beitrag The Hippocratic Oath in Antiquity and on Papyrus (S. 35-42) Entstehung, Überlieferung und bisherige Interpretationen zum hippokratischen Corpus und hippokratischen Eid. Hippokrates wurde im Laufe der Zeit von verschiedenen medizinischen Schulen als Urvater herangezogen, seine Überlieferungen wurden dabei jedoch zumeist nach ihren eigenen Vorstellungen interpretiert. Dasselbe dürfte für den hippokratischen Eid in seiner bekannten Form gelten. Er kann, muss aber nicht von Hippokrates selbst stammen. Jedenfalls schwören jene, die den Eid leisten, ein heiliges und reines Leben zu führen und den Bedürfnissen der Patienten ihr ganzes Leben zu dienen. Leith gibt dabei den Text des Eides in Deutsch und Englisch, leider nicht in Griechisch, wieder. Auffallend sind alleine hier Unstimmigkeiten hinsichtlich der Übersetzung und der gewählten Begriffe (2).

 

            Hans-W. Fischer-Elfert von der Universität Leipzig informiert in seinem Beitrag über die Heilkunde im Alten Ägypten (S. 43-54). Er verwendet als erster den Begriff Heilkunde anstelle von Medizin und sieht diesen als Überbegriff zu Medizin und Magie. Denn er und auch andere Autoren verstehen die angewandte Magie als psychotherapeutische Maßnahmen im heutigen und ganzheitlichen Sinne. Er geht der zentralen Fragestellung „Was verursacht Krankheit nach Meinung der ägyptischen Ärzte?“ nach. Neben humoralpathologischen Störungen (3) wurden in erster Linie sog. Dämonen, die in den Körper eindringen, für Krankheit verantwortlich gemacht.

 

            Fritz Mitthof, Mitarbeiter der österreichischen Akademie der Wissenschaften, berichtet über Forensische Medizin im römischen Ägypten (S. 55-63). Mitthof stellt Papyri vor, die über die sog. öffentlichen Ärzte, also die heutigen Amtsärzte berichten und weist damit auf den Beginn der Gerichtsmedizin hin. So wurden bereits damals nach einem Antrag und einer offiziellen Auftragserteilung von diesen Amtsärzten medizinische Gutachten erstellt. Neben der Nennung der antiken Amtsbezeichnungen, der an diesem Ablauf beteiligten Personen, kann er auch auf Fallbeispiele verweisen, bei denen offizielle Amtsträger auch Opfer von Anschlägen, die von unzufriedenen, erzürnten Dorfbewohnern ausgeführt wurden.

 

            Lucian Reinfandt, aus Wien, berichtet über Medizin und Alltag in den arabischen Papyri (S. 65-78), ein Themengebiet über das bislang noch relativ wenig bekannt ist. Grundsätzlich beruhte die Medizin im islamischen Ägypten auf drei Strängen: 1. der griechischen Tradition, basierend großteils auf Galens Schriften, 2. der Medizin Mohammeds, basierend auf dem Wissen arabischer Beduinen und den Aussagen des Propheten, 3. der altägyptischen Kenntnisse (überliefert im Koptischen). Letztere verwendeten Zauberschalen, Magie, das Bild des Schadensbringers oder Beschwörungsformeln als Schutz gegen Gefahren, Krankheiten (= Dämonen), Bisse und Stiche. Die Ausbreitung der arabischen Welt brachte auch Zugewinne an pharmazeutischem Wissen und Pflanzen. Preis- und Mengenlisten aus dem 9./10. Jahrhundert n. Chr. sowie Bestellungen belegen dies. Interessante Details sind u. a. die Hinweise, dass Nestorianische Christen die in Griechisch verfassten medizinischen Texte ins Arabische übertrugen, und dass das Kairener Krankenhaus des 11. Jahrhunderts als berühmt für seine Kunst galt. Auch war die Behandlung im Krankenhaus von Kairo kostenlos, da der Kalif alle Kosten für Personal und Medikamente übernommen hatte, wie berichtet wird.

 

            Michael Urban vom Institut für Röntgendiagnostik am Donauspital in Wien erläutert in seinem gleichnamigen Beitrag in aller Kürze Das Röntgenbild der Mumie (Kat.-Nr. 46) (S. 79-81) in Melk. Überraschend sind seine Ausführungen, dass bereits Flinders Petrie 1897 bei seinen Nachforschungen Röntgenuntersuchungen eingesetzt hatte, also kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahre 1895 selbst. Heute bietet jedoch eine CT-Untersuchung weit bessere Kontraste der einzelnen Bestandteile des untersuchten Objektes, auch liefert sie ein überlagerungsfreies Bild und jede Schnittrichtung durch den Körper. In der Folge sind daran anschließende 3-D-Rekonstruktionen sehr leicht möglich. Bei der Mumie handelt es sich um eine relativ junge, erwachsene, weibliche Person von 157 cm Körpergröße. Eine Fraktur des rechten Oberarmes (nicht des linken, wie der Autor beschreibt), jedoch keinerlei Deformierungen waren festzustellen. Weder Schmuck noch beigepackte Eingeweidepakete sind vorhanden. Die Mumie ist in Leinen gewickelt und wurde mit Bitumen überstrichen. Gesichts- und Brustmasken sind aus Papyruskartonage hergestellt. Diese datieren die Mumie in ptolemäische Zeit. Die Bemalung weist kaum individuelle Züge auf, sie folgt vielmehr der idealisierten Normdarstellung des Gottes Osiris. Das aufgemalte rosafarbene Stirnband mit der roten Sonnenscheibe und der weißen Mondsichel sicherten der Verstorbenen Schutz und ewiges Leben im Jenseits.

 

            Im Katalog finden sich im ersten Teil u. a. Fragmente von Schriften bedeutender griechischer Ärzte wie Hippokrates, Erasistratos(?) und Dioskurides, vor allem aber Rezepte zur Herstellung von Salben und Arzneimitteln, Etiketten für Behältnisse, Listen mit Drogen, Kräutern, Mineralien, Mengen und Preisangaben, amtsärztliche Untersuchungsprotokolle, Heizkostenforderungen für ein Warmbad, eine Steuerreduzierung für ein Krankenhaus, zwei Statuetten aus Ton bzw. Bronze, medizinische Instrumente, eine Mumie und ein Salbgefäß mit der Beschriftung Öl. Das Salbgefäß könnte zu einem Gründungsdepot eines ägyptischen Tempels gehört haben und enthielt wohl eines der Heiligen Sieben Öle. Der zweite Teil bietet eine Sammlung zu Sprüchen, Amuletten, ein Fragment aus einem Testamentum Salomonis (= rituelles Handbuch zur Dämonenkunde), ein weiteres aus einem veterinärmedizinischen Handbuch sowie ein Grabstele aus Terenuthis. Amulette wurden am Körper getragen und sollten z. B. gegen Skorpionstiche, Fußleiden oder unerwünschte Empfängnis helfen. Neben den bedeutenden vier Kölner Papyri zu den oben genannten griechischen Ärzten (Kat.-Nr. 1-4) sind ausschließlich Papyri aus der Wiener Sammlung präsentiert. Auch die Statuetten und die medizinischen Instrumente sind ihr zugehörig. Nur die Mumie befindet sich im Stift Melk und wurde wohl um 1900 dorthin transferriert. Insgesamt werden 68 Katalognummern vorgestellt und besprochen. Die Katalogbeschreibungen liefern unzählige, äußerst interessante Details zu den verwendeten Heilmitteln, darunter Myrrhe, Thymian, Alraune, Raute, Ingwer, Safran, Lupinen, Pfeffer, Salz, Pistazien, Narde, Veilchen, Honig, Essig, Olivenöl, Natron, Arsenikon, Opopanax oder Ambra. Die Kräuter und Mittel wurden dabei – damals wie heute, insbesondere in der Traditionellen Chinesischen Medizin – hinsichtlich ihrer speziellen Eigenschaften (beruhend auf der Geschmacksrichtung) als erwärmend, adstringierend, kühlend etc. beschrieben und gezielt zur Behandlung eingesetzt.

 

 

            Das Buch erfüllt sowohl die hohen Erwartungen an eine wissenschaftliche Publikation als auch an die Verständlichkeit gegenüber interessierten Laien. Es bietet einerseits wörtliche Transkriptionen, Auflösungen von Abkürzungen, ausgewählte Abbildungen (zu Fragmenten mit Hexagrammen, Kreuzformen, Tierdarstellungen), die besprochene Details gut illustrieren und verdeutlichen, und andererseits einen kurz gefassten, allgemein verständlichen, erklärenden Text- und Katalogteil. Auch demonstrieren die ausgewählten, weit über eintausend Jahre repräsentierenden Beispiele eindrucksvoll, dass – unabhängig von Sprache und Kultur – das Problem der medizinischen Versorgung der Bevölkerung dasselbe bleibt. Die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse sind jene Faktoren, die sich durch die Zeiten offenkundig nicht ändern.

 

            Als letzte Anmerkung sei daher noch folgende Überlegung erlaubt: Wird die Medizin heute wirklich ausschließlich als Wissenschaft gesehen und betrieben, wie es in dem Büchlein darzustellen versucht wird? Gibt es nicht auch heute zahlreiche Wunderheiler, an die sich Menschen mit angeblich unheilbaren Krankheiten wenden? Sind, wahre Scharlatane natürlich ausgenommen, diese Wunderheiler nicht oft Menschen, mit altem, eventuell insgeheim erlerntem Wissen, welches ein großer Teil der Menschen nicht verstehen kann, bzw. ein Teil der Ärzte nicht verstehen möchte? Hier dürfte es noch viel zu erforschen geben, in alten Aufzeichnungen, durch Naturbeobachtungen und Erfahrungen sowie mittels moderner geistes- und naturwissenschaftlicher Methoden.

 

 

(1) Vgl. das Vorwort von Pedanios Dioskurides in seinen fünf Büchern De Materia Medica, die er im 1. Jahrhundert n. Chr. verfasste. Siehe zu ihm auch http://www.pharmawiki.ch oder http://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Dioskurides). Sein Arzneimittelbuch fand bis ins 16. Jahrhundert Verwendung.

 

(2) So findet sich z. B. in der englischen Version der Ausdruck dietetic measures (S. 35) und im deutschen Text als Entsprechung ärztliche Verordnungen (S. 41). Wäre hier nicht der Ausdruck diätetische Maßnahmen treffender? Denn Diätetik bezieht sich eindeutig auf die Ernährung, Schriften hierzu sind seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. bekannt, vgl. Diokles von Karystos. Mit ärztlichen Verordnungen können weitere, aber auch andere Anordnungen angesprochen sein. Was meint hier der Originaltext?

 

(3) Damit sind Störung des richtigen Mischungsverhältnisses der vier Säfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle angesprochen. Laut der Lehre des Hippokrates entstand Krankheit durch Störung dieses Gleichgewichts, zumeist ausgelöst durch falsche, übermäßige Ernährung. Aber auch mangelnde Bewegung, mangelnder Schlaf, ungünstige klimatische Verhältnisse oder unzureichende Hygiene wurden als Ursachen erkannt. Gesundheit beruht – auch bereits nach antiker Auffassung – auf einer gesunden Lebensweise.